Buchbesprechung.

 

    Michael Titze:
    Die heilende Kraft des Lachens.
    Mit Therapeutischem Humor frühe Beschämungen heilen.

    Kösel-Verlag & Co., München, 1995.

René Schweizer, Basel 1995:

Gedanken zu einem aussergewöhnlichen Buch.

Wir sind ein seelisch kranker Planet, und durch das Lachen können wir geheilt werden. Dies mein persönliches Fazit aus der Lektüre von Michael Titzes neuem Buch "Die heilende Kraft des Lachens - Mit Therapeutischem Humor frühe Beschämungen heilen", welches im renommierten Kösel-Verlag erschienen ist. Um aufzuzeigen, wie der Therapeutische Humor funktioniert und weshalb er wirksam ist, schildert Titze, Psychologe und Soziologe, zunächst einmal ausführlich und umfassend die verschiedenen Möglichkeiten der Entstehung von Scham und deckt dabei Schritt für Schritt auf, wie gestörte Befindlichkeiten, Verhaltensweisen und Selbst-Verständnisse sich entwickeln und welche Folgen sich daraus für die Betroffenen ergeben. Neben der klaren Sprache fasziniert vor allem die Konsequenz, mit welcher der Autor den Leser gleichsam nebenher in dessen eigene Vergangenheit führt, da jeder während der Lektüre irgendwann einmal erkennt: Hier geht es um mich. Anhand des Pinocchio-Beispiels vom hölzernen Hampelmann entschleiert Titze die Mechanismen, welche manch ein in der sogenannt zivilisierten Welt geborenes Kind zwangsläufig in irgend eine Form von Verhaltensgestörtheit hineintreiben. Die Art und Weise wie der Autor das macht, ist virtuos. Er setzt Steinchen an Steinchen und entwickelt so ein Mosaik, welches sowohl die Welt des Einzelnen als auch als Ganzes abbildet. Jäh wird einem so die Menschheitsgeschichte als Anamnese verständlich. Das Buch hat philosophische Dimension. Wenn Titze die Eltern von Menschen, "die seit ihrer Kindheit Versagungen, Enttäuschungen und beschämende Erniedrigungen haben erdulden müssen" als "Eltern, denen das Seelenleben ihrer Kinder fremd ist, wie das Kindsein im allgemeinen" beschreibt, dann fragt man sich unvermittelt, was für eine Kindheit diese Eltern wohl ihrerseits hatten. Und deren Eltern. Und so weiter bis in die graue Vorzeit hinein. So entsteht wie aus dem Urnebel heraus ein von Kapitel zu Kapitel deutlicher werdendes Bild der Welt. Man versteht anhand der Analyse von vielen Einzelnen, wie es mit ihr als Ganzes soweit hat kommen können. Titze schreibt: "Diese Eltern zeigen sich empört, wenn das Kind seinen eigenen Weg durchsetzen will ...Das Kind soll so werden wie die Eltern selbst. Denn auch sie mussten ihre kindliche Lebendigkeit einst aufgeben, bis das Kind in ihnen erstarrte." Mit der Geburt jedes Kindes ergibt sich eine Chance für die Heilung des Ganzen, denn jedes Kind ist ein potentieller Antikörper. Doch die Demenz der Umwelt, in der es heranwächst, ist oft stärker, und so verwandelt sich der Antikörper selbst in eine neue kranke Zelle.

"Der Therapeutische Humor sucht den Weg aufzufinden, der zum unverletzten Kindsein führt", schreibt Titze. Assistiert durch den therapeutischen Clown beginnt der Psychologe "die Gruppenarbeit im allgemeinen mit problemzentrierten Gesprächen", deren "grundlegendes Thema die Scham ist." Er fordert die Teilnehmer auf, ihre Probleme vor der Gruppe zu schildern. Wenn jemand seine Geschichte erzählt hat, wird diese von den Gruppenmitgliedern nachgestellt und nachgespielt. Dabei "steht der therapeutische Clown dem jeweiligen Akteur hilfreich zur Seite. Er sorgt dafür, dass der 'Kopf', also das selbstkontrollierende Erwachsenendenken, ausgeklammert bleibt." Die Angst schamgebundener Menschen vor dem Ausgelachtwerden wird dabei umgepolt in eine Freude am Applaus. "Ich konnte erleben, dass ich mit Lust und Ulk das absichtlich produzieren kann, was mir bislang wie ein fremder Zwang erschien" zitiert Titze einen Teilnehmer. "Das Gelächter, das ich dabei hervorrufe, geht nicht mehr gegen mich. Es ist die Anerkennung für meinen Erfolg als Komiker."

Es tut sich hier eine Aufgabe für die Forschung auf. Wann, wie, wo, wieso und auf welche Weise ist die Scham in die Welt gekommen? Friedrich Nietzsche hat dazu schon viel Vorarbeit geleistet, aber die Erkenntnisse müssten heute zeitgemässer daherkommen, in einen modernen Kontext gestellt werden. Wenn wir die Systeme betrachten, unter deren Diktat die Menschen noch immer auf dem Globus leben, dann sehen wir, dass die Scham ein elementares Werkzeug ist, mit dem alle Wertegebäude und Hauptreligionen arbeiten. Der eine hat sich zu schämen, weil er der falschen Kaste angehört, der andere, weil er reich, der dritte, weil er arm ist, der vierte, weil er begehrt, was er nicht sollte, der fünfte, weil er sich auf diese oder jene Weise nicht in der Hand hat und der sechste, weil er diesem oder jenem Ideal nicht entspricht etc. Die Scham ist wie ein globaler Imperativ. Wer sich nicht schämt, ist Scham-los, und schamlos sind die niederen Kreaturen, die Trieb- und Tiermenschen, die Morallosen, die Verachtenswerten. Entweder man schämt sich oder man verachtet. Oder: Man schämt sich gegen oben und verachtet gegen unten. Das bedeutet in letzter Konsequenz: Untertänigkeit gegenüber Autorität, Herablassung gegenüber Niedergestellten, Untertan und Übertan.

Wir Heutigen haben ein schweres Erbe zu tragen. Aber vielleicht ist das Schöpfungsschauspiel in Akte aufgeteilt, und dieser jetzige nähert sich seinem Ende. Überall ist vom Paradigmenwechsel die Rede. Heisenberg, der grosse Elementarphysiker und Nobelpreisträger, sagte, dass alles, was man in der modernen Physik noch erwarten könne, das Unerwartete sei. Dies gilt auch für die Pointe im Witz. Vielleicht sind wir mit der Quantenphysik, der Chaostheorie und der Gelotologie (Lachforschung) der Wahrheit auf der Spur. Vielleicht ist Gott ein Possenreisser und bereit dazu, endlich seine Karten aufzudecken. Vielleicht haben jene recht, welche vom Leben als von einer grossen Illusion (Maja) reden. Vielleicht ist das Lachen der einzige Ausweg aus der grossen Verwirrung...