Buchbesprechung.

 

    Michael Titze / Christof T. Eschenröder
    Therapeutischer Humor
    Grundlagen und Anwendungen.

    Fischer TB - Geist und Psyche

Quelle: www.dradio.de - 07.08.1998

Therapeutischer Humor

Florian Felix Weyh
Witze über Pfarrer gibt es Millionen; Witze, die ein Pfarrer macht, bleiben konspirativ; im Gottesdienst hat man noch niemanden Pointen predigen hören. Nebst Pfarrern gibt es noch Beerdigungsunternehmer und Psychotherapeuten, die das gleiche Schicksal trifft: Als Zielscheiben des Spottes gehören sie ins Inventar jedes Humoristen - aber selbst? Hat man sie je grinsend neben Särgen oder der Patientencouch gesehen? Wenn jemand seinen Jokus macht, dann der Patient selbst. Im Film, bei Woody Allen. Wohl die Hälfte aller geistvollen Analytikerwitze stammt aus seiner Feder, und sie verpuffen - im Film - grundsätzlich an der Ernsthaftigkeit des Therapeuten. Nur im Film? Nein, vor allem auch im wahren Leben, wo der Volksmund zwar weiß, daß Lachen gesund sei, dies aber kaum in die Grüfte der Schulmedizin und Schulpsychologie vorgedrungen ist.

Damit soll nun Schluß sein; wie so üblich kommt der Anstoß aus Amerika, wo ehrenamtliche "Lachdoktoren" seit Jahren zum Personal der Kinderkliniken gehören und mit ihren "laugh wagons" - Gelächterwagen - auch die Stationen schwerkranker Erwachsener besuchen. Physiologisch ist nachgewiesen: Wer lacht, stärkt die Immunabwehr. Er erhöht den Gasaustausch der Lunge, befreit die Bronchen von Sekreten - zweimal gut gelacht, ersetzt ein Husten - und lindert entzündliche Prozeße. All dies Forschungsergebnisse der "Gelotologie", jener Wissenschaft, die Erich Kästner vor fünfzig Jahren noch scherzhaft als "Lachkunde" herbeisehnte. Nun gibt es sie also, und das Autorengespann Michael Titze und Christoph T. Eschenröder, beide Psychotherapeuten, haben die erste Monographie zum Thema vorgelegt. "Therapeutischer Humor" heißt ihr Band, auf dessen Cover ein etwas verkniffen lachender Sigmund Freud zu sehen ist. Als Illustration, versteht sich. Ein Freudsches Lachfoto wird sich wohl kaum in den Archiven der Psychoanalytischen Gesellschaft finden. Siehe Eingangsbemerkung: In Kirchen lacht man nicht.
Wie also halten es die verschiedenen Schulen mit dem Lachen? Sanktionieren sie es oder tolerieren und provozieren sie es, gehen gar kreativ im therapeutischen Prozeß damit um? Die Autoren untersuchen elf verbreitete Psychotherapieformen, von denen mittlerweile nur noch zwei von den Krankenkassen finanziert werden. Um es vorwegzunehmen: Wer lachend gesunden will, muß selbst dafür aufkommen; die Psychoanalyse und die Verhaltenstherapie, jene staatlich anerkannten Heilverfahren, tun sich aus unterschiedlichen Gründen mit dem Humor schwer. Doch schon in der Generation Freuds gab es einen Abweichler, der die Zweckmäßigkeit von Witzen für den Heilungsprozeß erkannte: Alfred Adler, der Begründer der Individualpsychologie. Er neigte dazu, Neurosen seiner Patienten dahingehend zu kommentieren, daß sie strukturell Scherzen glichen - und sie damit vom Patienten leichter genommen werden könnten, als sie es aktuell taten. Natürlich ist das noch kein Heilungsansatz, doch Adler führte als erster die sogenannte "konfrontative Technik" ein, dem Patienten nämlich in ironischer oder satirischer Brechung seine bisweilen bizarren Probleme vor Augen zu führen. Was den Humor im Alltagsleben auszeichnet, wirkt auch hier als Barrierebrecher: der Verblüffungseffekt der Pointe. Statt in Tränen auszubrechen oder sich noch tiefer in Depressionen zu flüchten, brachen die meisten der Patienten in schallendes Gelächter aus. Und hatten danach eine offenere Perspektive auf sich und ihre Probleme.
Auch Viktor Frankls "Logotherapie", fünfzig Jahre später aus dem selben Stamm gesprossen, setzt auf Konfrontation; Frankl nennt sie "paradoxe Intention". "Der Humor", schrieb er einst, "würde verdienen, ein Existential genannt zu werden. Nicht anders als die Sorge und die Liebe." Frankls Humor verlangt vom Therapeuten wie vom Patienten den "Mut zu Lächerlichkeit", die neurotischen Symptome sollen in der Ironie ihren Schrecken verlieren, wodurch das Urvertrauen zum Dasein zurückkehrt. Der Auschwitz-Überlebende Viktor Frankl gilt dabei als Kronzeuge für die Kraft des Humors, und so greifen die modernen bis modischen Therapieschulen auf seine "paradoxe Intention" zurück, wenn sie nicht mitfühlend leiden, sondern mitfühlend lachen wollen. Damit ist zugleich die Grenze markiert, denn Lachen kann auch enorm destruktiv wirken. Zwar besteht übereinstimmend die Meinung, daß Psychotherapeuten die Empfindlichkeit ihrer Patienten eher über-, und deren Möglichkeit, humorvoll zu reagieren eher unterschätzen, doch an einem schlechten Tag kann die Sache auch nach hinten losgehen. Sarkasmus und zynische Bemerkungen sind nicht heilsam; und wer nach dem gängigen Motto "Ratgeber ersparen Therapien" nun depressiven oder neurotisch gestörten Mitmenschen mit Witzen aufhelfen will, der kommt nicht viel weiter; es gehört ein entsprechendes Umfeld dazu. Michael Titzes und Christoph T. Eschenröders Buch ist eben kein Ratgeber, sondern ein komprimierter Überblick über den Stand der Forschung. Wen's interessiert, der ist mit der Lektüre gut beraten; ein paar Witze bekommt er obendrein. Aber ganz ehrlich: So richtig komisch sind sie nicht.