«Haben Sie schon mal Ihren Hund gekitzelt?».

    Interview:
    Simone Kosog
    und Till Hein

Prof. Dr. William Fry, der grosse, alte Mann der Lachforschung, über Humor, Selbstversuche und lachende Affen... ...im SZ-MAGAZIN der Süddeutschen Zeitung vom 10.12.1999.


SZ-Magazin:

Herr Dr. Fry, womit wollen Sie anfangen? Einer Ihrer Kollegen, Prof. Paul McGhee, beginnt angeblich jede Veranstaltung mit einem Witz.

Fry:

Ich würde vorschlagen, wir reden einfach. Wenn es um Humor geht, bin ich ein ernsthafter Mensch.

SZ-Magazin: Es darf hier also ab sofort nicht mehr gelacht werden?

Fry: Doch, natürlich, aber das kommt schon von allein.- Humor und Ernsthaftigkeit schliessen sich keineswegs aus - ich hatte immer Spass bei meinen Untersuchungen.

Erinnern Sie sich noch an Ihr erstes Experiment?

Fry: Sicher. Das war in den sechziger Jahren und die Lachforschung war damals noch absolutes Niernandsland. Ich selbst war eine meiner Testpersonen. Ich hatte mir ein Film von Laurel & Hardy besorgt, um rnich zum Lachen zu bringen. Die Folge, wo die beiden ein Klavier den Hügel hinaufschieben - ich liebe diesen Fi]m. Wir wollten herausfinden, was genau im Körper während des Lachens passiert. Also steckte ich mir eine Kanüle in den Arm, durch die mir in regelmässigen Abständen Blut abgenommen wurde. Anschliessend liessen wir das Blut chemisch analysieren.

Und?

Fry: Die Ergebnisse waren sensationell: Wir stellten fest, dass die Aktivität der natürlichen Killerzellen während der Lachphase ansteigt. Der Körper wird also widerstandsfähiger.

Und sobald wir aufhören zu lachen, werden wir wieder so anfällig wie vorher?

Fry: Nein, nein. Tests haben ergeben, dass die Stimulation des Immunsystems oft über mehrere Stunden anhält.

Das heisst, wer alle zwei, drei Stunden ordentlich lacht, kriegt keinen Schnupfen?

Fry: Um solche Aussagen machen zu können, sind noch viele Untersuchungen nötig. Zum Glück bekamen wir damals Unterstützung von Firmen wie Hewlett-Packard und Beckman Instruments, die selbst noch völlig unbedeutend waren - das ganze Silicon Valley war ja noch eine Aprikosenplantage. Beckman Instruments hatte gerade ein Gerät entwickelt, das die Atmung erfasste, indem es ein elektrisches Signal von der Vorder- zur Rückseite des Brustkorbs sendete. So stellten wir fest, dass sich die Atemfrequenz beim Lachen deutlich erhöht - das war nie zuvor objektiv gemessen worden.

Wie kamen Ihre Ergebnisse an?

Fry: Die Untersuchung des Immunsystems erregte weltweit Aufsehen. Inzwischen sind unsere Ergebnisse wiederholt bestätigt worden. Aber es gab auch Leute, die mich gerade mal so ernst nahmen, dass sie mir vorschlugen, an einem Comic-Wettbewerb teilzunehmen. Eines Abends genehmigte ich mir ein paar Gläser Sherry und dachte mir: Zum Teufel, warum eigentlich nicht? Die Vorgabe war ein Strip mit zwei Engeln auf einer Wolke, dazu sollte man sich einen Text ausdenken.

Was haben Sie hingeschrieben?

Fry: Der eine Engel sagt zum anderen: «Ach, diese Wolken sind herrlich für meine Hämorrhoiden.» Die Jurymitglieder waren so begeistert - wahrscheinlich litten sie selbst unter Hämorrhoiden - dass sie mir den ersten Preis gaben. Aber sehen Sie: Sie lachen auch.

Erklären Sie doch mal, was nun genau in meinem Körper passiert.

Fry: Eine ganze Menge: Der Herzschlag wird schneller, der Blutdruck geht hoch und im Gehirn finden elektrochemische Reaktionen statt, die typisch für erhöhte Wachsamkeit sind. Die Hauttemperatur steigt und der Körper schüttet mehr Hormone aus. Es gibt bestimmte Muskeln, die während des Lachens angespannt werden, die Bauchmuskeln zum Beispiel, logisch. Andere Muskeln entspannen sich. Sie haben bestimmt schon mal beobachtet, dass kleine Kinder vor lauter Lachen auf den Boden fallen: Die Muskelentspannung ist der Grund dafür. Das Lachen ist also ein unglaublich komplexer Vorgang. Man nimmt sogar an, dass die Schmerzempfindlichkeit herabgesetzt wird.

Wie stellen Sie so was fest? Zum Beispiel, dass wir beim Lachen mehr Schmerzen aushalten?

Fry: Das hat Paul McGhee, auch ein Pionier der Lachforschung, herausgefunden. Seine Testpersonen mussten die Hand in eiskaltes Wasser tauchen; ab einem gewissen Punkt tut das weh. Diese Schmerzgrenze hat er gemessen und festgestellt, dass sie sich nach oben verschiebt, wenn die Versuchspersonen gleichzeitig ein lustiges Video sehen.

Klingt, ehrlich gesagt, ein bisschen unwissenschaftlich. Vielleicht hat das Video die Studenten ja einfach nur abgelenkt.

Fry: Das stimmt schon: Andere Untersuchungen ergaben später, dass auch tragische Filme, etwa eine Dokumentation über Auschwitz, die Schmerzempfindlichkeit senken. Wahrscheinlich gilt das sogar für jede Art von emotionaler Erregung.

Sie selbst sind in letzter Zeit ebenfalls kritisiert worden, weil Sie Ihre wichtigen Untersuchungen ohne Kontrollgruppe gemacht haben.

Fry: Zum Teil ist diese Kritik berechtigt: Nur mit Kontrollgruppe können wir beweisen, dass die positiven Auswirkungen auf das Immunsystem nicht durch Zufallsfaktoren wie Hunger oder die Laboratmosphäre ausgelöst wurden. Aber ich habe damals bei null angefangen! Ich bin der Erste, der sagen würde: Weitere Untersuchungen sind nötig.

Haben Sie auch mal Versuche mit Lachgas gemacht?

Nein, darauf habe ich bewusst verzichtet. Wenn Sie die Monde des Jupiter erforschen wollen, untersuchen Sie ja auch keine Luftballons. Mich interessiert das natürliche Lachen.

Was halten Sie von Norman Cousins Selbstversuch? Der Journalist, der an einer tödlichen Wirbelsäulenkrankheit litt, bekämpfte seine Schmerzen mit Videos der Marx Brothers. Cousins behauptete, dass er danach endlich mal wieder ein paar Stunden ohne Schmerzen habe schlafen können. Sein Buch wurde ein Bestseller.

Fry: Ein faszinierendes Buch, aber ich finde den Wirbel darum übertrieben. Cousins ist ein Einzelfall und bedenken Sie: Der Mann konnte schreiben! Ich warne vor übereilten Schlüssen. Wir dürfen nicht den Fehler machen, erst sensationelle Erkenntnisse hinauszuposaunen und nachträglich mit der Grundlagenforschung zu beginnen. Das wäre so, als würden wir erst die Hose anziehen und anschliessend in die Unterhose schlüpfen.

Dann stehen Sie also nach fast vierzig Jahren Forschung immer noch in der Unterhose da?

Fry: Schlimmer: Ich liege noch in den Windeln.

Aber es tut sich doch eine Menge. Es gibt inzwischen Lachkongresse, Therapien, Lachclubs.

Fry: Und eine Gesellschaft Humorcare, die den Humor in der Psychotherapie fördern will. Verglichen mit früher ist das natürlich ein gewaltiger Fortschritt. Als ich in den fünfziger Jahren an der Stanford-Universität mein Institut für Lachforschung gründete, wurde ich verspottet. Es war Konsens in der Medizin, dass Humor im Krankenhaus gar nichts zu suchen hat.

Der berühmte Arzt Patch Adams brachte mal ein Mädchen, das einen Tumor im Gesicht hatte, zum Lachen, indem er sich selbst eine Tumorattrappe umschnallte. Hätte auch danebengehen können, oder?

Fry: Adams war Profi, er wusste, was er tat. Aber das Beispiel zeigt, dass es nicht reicht, ein paar Witze zu machen.

Kann das Lachen einer Behandlung nicht auch im Wege stehen? Ihr Kollege Rod Martin spricht von «Verdrängungslachen»: Statt Gefühle zu zeigen, lacht man lieber.

Fry: In der Therapie gibt es kein Verdrängen, das von vornherein schlecht ist, es kann sogar sehr wichtig sein: wenn der richtige Zeitpunkt noch nicht da ist, sich bestimmten Dingen zu stellen. Da würde ich als Therapeut niemals die Konfrontation erzwingen. Ich selbst habe nur das «heitere Lachen« untersucht, also das Lachen als Reaktion auf Humor, aber natürlich sind da noch viele andere Arten: höhnisches Lachen, zwanghaftes Lachen, ängstliches Lachen, triumphierendes Lachen.

Krankhaftes Lachen?

Fry: Klar. Es gibt zum Beispiel Babys, die lachend zur Welt kommen. Auslöser ist eine Art epileptischer Schock, hervorgerufen durch den Geburtsstress. Es wäre mal interessant zu untersuchen, wie sich diese Kinder weiterentwickeln. Ich hatte auch mal einen Patienten, der nicht aufhören konnte, merkwürdig abgehackt zu lachen. Er litt an den Folgen einer Kriegsverletzung, bei der das Gehirn in Mitleidenschaft gezogen worden war. Die Medizin ist leider noch nicht in der Lage, zerstörtes Hirngewebe zu ersetzen. Ich konnte dem Patienten deshalb lediglich Beruhigungsmittel verschreiben, die seine Symptome linderten.

In welcher Gehirnregion liegt eigentlich die Schaltstelle für das Lachen?

Fry: Es sind viele Sektoren beteiligt, zum Beispiel der Hypothalamus und Teile der frontalen Hirnrinde. Im Mittelalter glaubte man übrigens noch, dass die Milz das Lachzentrum sei. Die ja im Englischen bezeichnenderweise spleen heisst.

Wie kommt es, dass wir manchmal weinen, wenn wir lachen?

Fry: Das ist eine anatomische Sache. Wenn man lacht, steigt der Luftdruck im oberen Teil der Nase. Die Luft drückt auf die Tränendrüsen. Wie bei einem Strohhalm, in den man hineinpustet statt daran zu saugen: Die Luft entweicht ins Wasser, das Wasser blubbert an der Oberfläche. Beim Lachen führt der Luftdruck zu Tränen.

Wieso lachen wir, wenn wir gekitzelt werden, aber nicht, wenn wir uns selbst kitzeln?

Fry: Da spielt das Element der Ambivalenz eine Rolle. Darunter versteht man in der Psychologie ein Nebeneinander von zwei gegenläufigen Empfindungen. Es gibt zahlreiche psychologische Faktoren, die eine Ambivalenz intensivieren oder animieren können.

Wie meinen Sie das genau?

Fry: Das Gefühl, gekitzelt zu werden, ist einerseits angenehm, andererseits unangenehm und irritierend. Aus diesem Widerspruch entsteht eine Spannung, die sich durch Lachen entlädt. Wenn man sich aber selbst kitzelt, fühlt man sich absolut sicher. Man ist niemandem ausgeliefert, also muss man auch nicht lachen. Sind Tiere kitzelig? Haben Sie mal Ihren Hund unter der Pfote gekitzelt? Er zuckt mit dem Bein und verzieht die Lefzen. Das ist natürlich kein Lachen, aber schon ein ganz spezieller Gesichtsausdruck.

Gibt es denn Tiere, die richtig lachen? Delfine zum Beispiel sehen ständig gut gelaunt aus.

Fry: Ich habe das lange bestritten, bis ich irgendwann einen Anruf bekam: «Sie wissen nicht, wovon Sie reden!» Ich sagte: «Bitte?» - «Sie wissen nicht, wovon Sie reden.» Der Anrufer war Lawrence Pinneo, ein Wissenschaftler des Stanford Research Institut, der mit Schimpansen arbeitete und mich nun davon überzeugen wollte, dass seine Affen Humor haben - er sperrte mich sogar mal mit drei fröhlichen Jungtieren in einen Käfig, um es mir zu beweisen.- Nun' ich würde eher von sozialen Grimassen sprechen. Aber auf alle Fälle kann man sagen, dass Menschen und Schimpansen das Lachen von einem gemeinsamen Vorfahren geerbt haben. Demnach wären die ersten primitiven Formen des Lachens schon 6,5 Millionen Jahre alt.

Die Neandertaler haben angeblich gelacht, um sich gegenseitig mitzuteilen, dass keine Gefahr besteht.

Fry: Das kann schon sein, aber bedenken Sie, dass neueste Studien davon ausgehen, dass die Neandertaler Kannibalen waren. Vielleicht war das Lachen also nur ein Trick: Komm ruhig näher, damit ich dich besser fressen kann.

Dann war das wohl ein politisch unkorrektes Lachen.

Fry: So kann man es auch ausdrücken. Ich finde diese ganze Debatte über «political correctness» allerdings ziemlich überflüssig. Es ist Blödsinn, bestimmte Arten von Humor verbieten zu wollen. Natürlich dürfen wir über andere lachen - wir müssen uns halt darüber klar sein, dass das nach hinten losgehen kann. Dass der andere zurückschlägt.

In Deutschland gibt es einen Komiker, Harald Schmidt, dem manche Menschen seine politisch unkorrekten Witze übel nehmen. Wie finden Sie den: «Jetzt soll auch noch Claudia Schiffer nach Bosnien geschickt werden. Als hätten die Leute dort nicht schon genug gelitten.» Sie lachen?

Fry: Aber nur über die gelungene Form, nicht über den Inhalt. Diese Art von Lachen meinte ich vorhin, als ich von zwanghaftem Lachen sprach: ein Lachen wider Willen.

Jemand, der nicht weiss, wer Claudia Schiffer ist, hätte nicht gelacht.

Fry: Weil er das Paradox nicht verstanden hätte. Der Sinn für Humor ist ein psychologischer Fingerabdruck, anhand dessen man einen Menschen identifizieren kann. Seine Herkunft, seine Bildung, sein soziales Umfeld. Es gibt keine zwei Menschen, die exakt denselben Humor haben. Und es gibt kein Volk auf der Welt, das gar nicht lacht.

Aber auch keinen Witz, über den jeder lacht, oder?

Fry: Ich habe mal einen erfunden, den fast alle Menschen lustig finden. Sagt ein Freund zum anderen: «Manchmal frage ich mich, was schlimmer ist: Ignoranz oder Apathie.» Darauf der andere: «Das weiss ich nicht und es interessiert mich auch nicht.»

Was finden Sie sonst noch lustig?

Fry: Eine Menge! Ich habe mir eine komplette Humorsammlung angelegt, die kann ich nur empfehlen. Da stehen zum Beispiel Filme von verschiedenen Komikern.

Kein Lachsack?

Fry: Nein, das Lachen wäre mir zu künstlich. Aber ich liebe Calvin & Hobbes-Comics. Kennen Sie die? Darin geht es um einen Jungen, der sich vorstellt, einen Tiger zum Freund zu haben. Die helfen hervorragend gegen Konzentrationsstörungen. Statt mir einen Tee zu kochen, was eine Viertelstunde dauert, nehme ich einfach Calvin & Hobbes zur Hand und lache mich drei Minuten kaputt. Der Blutdruck steigt, das Hirn wird gut durchblutet und ich kann wieder an die Arbeit gehen.

In einer Studie haben Sie das Lachen mal mit Aerobic verglichen.

Fry: Die Leute meinen immer, ich spinne! Aber zwanzig Sekunden Lachen entsprechen der körperlichen Leistung von drei Minuten schnellem Rudern oder Laufen. Sie werden sehen, irgendwann wird die Welt die Lachwissenschaft anerkennen. Denken Sie nur an Galileo Galilei...

Sie vergleichen sich mit Galilei?

Fry: Der wurde auch angefeindet, weil er etwas aussprach, das keiner glauben wollte und dann hat er unser ganzes Weltbild verändert. Das könnte der Lachforschung auch gelingen.