gelos = Lachen (griech.) / Gelotologie = Die Wissenschaft vom Lachen.



Humor als therapeutische und soziale Kompetenz.


Von Peter Hain

Wer zuletzt lacht, hat schon eine Menge verpasst!

Zusammenfassung:

Nach einem kurzen Ueberblick der Fachliteratur werden das physiologische und psychologische Potential des Lachens und des Humors aus der Sicht der professionellen Anwendung in Therapie, Beratung und Pflege dargestellt. Illustriert durch ein Fallbeispiel aus dem psychotherapeutischen Bereich werden die wichtigsten Grundbedingungen für eine wirksame Arbeit mit Humor, sowie Möglichkeiten, Gefahren und Bedeutung beschrieben und diskutiert. Anschliessend wird erörtert, dass Humor als Fähigkeit betrachtet und als soziale Kompetenz gefördert und entwickelt werden kann.

Ein Fremder nähert sich zwei Polizisten und fragt diese -auf Englisch- nach dem Weg zum Bahnhof. Die zwei Polizisten zucken ratlos mit den Schultern, worauf der Fremde es nochmals -auf Französisch- versucht. Nachdem er auch diesmal keine brauchbare Antwort erhält, versucht er es ein letztes Mal -auf Italienisch- und erntet wiederum die bereits bekannten Reaktionen. Der Fremde wendet sich enttäuscht ab und geht.

"Ja, Fremdsprachen sollte man können!" murmelt der eine Polizist nachdenklich.

"Und - was hat es ihm genützt?" erwidert selbstgefällig der andere.

Lachen und Humor wurden in letzter Zeit in der Fachliteratur (Psychotherapie, Krankenpflege, Management) aber auch in der Tagespresse in zunehmendem Masse thematisiert. Für die Psychotherapie, einem besonders sensiblen Bereich, der hier als stellvertretend für andere stehen soll, stellt sich natürlich auch die Frage:

"Was hat es (ihm) genützt?".

In der englischsprachigen Datei 'psycINFO' finden sich über 200 Arbeiten zum Thema Humor / Lachen in der Psychotherapie und die Tendenz ist steigend. (Grundlagenforschung ohne Bezug zur Psychotherapie und v.a. in den USA sich geradezu epidemisch ausbreiten-de Literatur und Zeischriften zum Thema Humor und Lachen im Spital nicht eingerechnet). Die Autoren befassen sich sowohl mit der physiologischen und emotionalen Wirkung des Lachens als auch mit der psychotherapeutischen Anwendung von Humor. Es finden sich viele Fallstudien mit unterschiedlichster Symptomatik, ein erfreulich breites Spektrum psychotherapeutischer Schulen, sowie ein weites Feld von Anwendungsmöglichkeiten. Die empirischen Studien beziehen sich v.a. auf die physiologische (messbare) Wirkung des Lachens.

Mit knapp 40 Veröffentlichungen zu diesem Thema (PSYNDEX) scheinen die deutschsprachigen Therapeuten den Humor nicht gerade für sich gepachtet zu haben, doch finden sich hier interessante Uebersichts- und Forschungsarbeiten:

So geben z.B. Titze, Eschenröder u. Salameh (1,2), wie auch Bernhardt (3) einen Ueberblick über die theoretischen Grundlagen, die philosophischen Wurzeln, die physiologische und die psychotherapeutische Wirksamkeit des Lachens und des Humors und untersuchen, welcher Stellenwert dem Humor innerhalb der bekanntesten Therapierichtungen zukommt. Heekerens (4) beschreibt den Stand der empirischen Arbeiten zum Thema Humor in der Psychotherapie und zeigt das therapeutische Potential des Humors aus konstruktivistischer Sicht. Bei Ruch (5,6) finden sich zahlreiche Uebersichtsarbeiten zur psychologischen Grundlagenforschung im Bereich Heiterkeit, Lachen und Humor, wie auch eigene Forschungsberichte. Ein wissenschaftliches Grundlagenwerk erscheint demnächst (7).

Aus therapeutischer Sicht lassen sich folgende Grundlagen zusammenfassen:

Das physiologische Potential

Lachen ist gesund ! Die noch relativ neue 'Gelotologie' (Lachforschung) weist nach, dass Humorreaktionen das Immunsystem beeinflussen, dass Lachen u.a. Schmerz reduzieren, Stressabbau, Durchblutung und Verdauung fördern, oder helfen kann, den Blutdruck zu senken. Die Ansätze und Ergebnisse in diesen Bereichen sind vielversprechend, eine Bestätigung der Befunde auf breiter Basis steht noch aus.

Siehe Berk (8,9), McGhee (10,11) u. Rubinstein (12).

 

Das psychologische Potential

Nach Salameh (1) lassen sich 3 Dimensionen der psychotherapeutischen Wirkung des Humors unterscheiden:

- emotional:
Humor löst Hemmungen, reaktiviert verdrängte Affekte, ermöglicht einen unmittelbaren und spontaneren Austausch menschlicher Gefühle und führt im therapeutischen Setting zu freizügiger Gleichwertigkeit.

- kognitiv:
Humor regt kreative Potentiale an, aktiviert Entscheidungsprozesse und Perspektivenwechsel, sensibilisiert für neuartige Zusammenhänge, fördert eine explorierende Haltung gegenüber scheinbar unumstösslichen Gegebenheiten und hilft, rigide Verhaltensmuster durch flexiblere zu ersetzen.

- kommunikativ:
Humor wirkt erfrischend, entspannend und anregend (evtl. auch originell), trägt zu einer freundlich konstruktiven Beziehung bei und festigt das Arbeitsbündnis. Humor reduziert "Erhabenheitsanansprüche" der TherapeutInnen, fördert ein Klima der Offenheit und Gleichwertigkeit und reduziert die Widerstandsbereitschaft der KlientInnen.

 

Die Anwendung

Während die Lachforschung messbare und meist eindeutige Ergebnisse vorweisen kann (inspiriert durch die vor etwa 30 Jahren Aufsehen erregende Selbstheilung des Norman Cousins (13), der durch eine gezielte, selbst erdachte Lachtherapie - er zog vom Spital ins Hotel und liess sich dort täglich stundenlang lustige Slapstick-Filme vorführen und witzige Bücher vorlesen - eine degenerative, als unheilbar geltende Entartung der Grundsubstanz des Knochengewebes, Spondylarthritis, überwand), wird dem Humor in der Psychotherapie gemäss ersten empirischen Untersuchungen (4) von Seiten der TherapeutInnen, wie auch der KlientInnen noch überwiegend mit grosser Skepsis oder gar Ablehnung begegnet. Lachen ist eindeutig gesund, kann gezielt - allein oder in der Gruppe - geübt (z.B. Bauchlachen) und angewendet werden - aber der Humor?! Bereits in seinen vielschichtigen Wurzeln und Absichten, interpretiert mittels kathartischen-, Ueberlegenheits-, Aggressions- und Inkongruenztheorien - vgl. Titze et al.(1) - ist er nicht eindeutig konstruktiv und heilsam. Humor kann sich u.a. in Sarkasmus oder Zynismus verwandeln und als demütigend und beschämend erlebt werden. Auf 'lustige Art' vom Therapeuten, Chef, Kollegen oder auch Ehepartner ausgelacht, degradiert oder ausgegrenzt zu werden ist keine Wachstum fördernde Perspektive.

Ich möchte mich daher in erster Linie auf die Frage konzentrieren, wie das psychologische Potential des Humors therapeutisch entwickelt und unter welchen Bedingungen es wirksam werden kann und anschliessend diskutieren, inwieweit diese Vorraussetzungen und Möglichkeiten auch für die bewusste Förderung und Anwendung von Humor als Präventiv - und/oder Bewältigungsstrategien in anderen Bereichen (z.B. Coaching, Pädagogik, Teamentwicklung) von Bedeutung sind.

Es wird erzählt, der deutsche Kaiser Willhelm habe auf einer seiner Reisen im Appenzell (ländlicher schweizer Kanton) Halt gemacht, da er auf den, weit über die Landesgrenzen hinaus bekannten, 'Witz' der dort lebenden Bauern neugierig war. Er liess nun einem der Bauern durch einen Diener ausrichten, seine Hoheit der Kaiser verlange eine Kostprobe dieses Humors. Der Appenzeller zuckte unbeeindruckt mit den Schultern und verschwand darauf in einer Scheune. Wenig später öffnete sich das Scheunentor und eine kleine Sau rannte mit einem Helm auf dem Kopf über den Platz. Eine grosse Sau jagte in einigem Abstand hinterher. Der Bauer gesellte sich schweigend zum Kaiser und seinem Diener, die das Schauspiel ungeduldig und eher verständnislos betrachteten. "Seine Hoheit wünscht eine Erklärung!", murrte der Diener. "Ganz einfach", erwiderte wortkarg der Appenzeller, "kleine Sau hat Helm - grosse Sau willHelm!".

Der psychotherapeutische Effekt dieser 'schweizer-deutschen' Intervention ist leider nicht überliefert, darf aber mit gutem Grund angezweifelt werden. Diese Geschichte illustriert jedoch sehr eindrücklich, wie Humor zur (therapeutischen) Keule werden kann, wenn die wichtigsten Grundbedingungen nicht erfüllt sind:

 

I. Zielsetzung

In der psychotherapeutischen Anwendung geht es nicht darum, KlientInnen mit Witzen und flapsigen Sprüchen zu unterhalten, sondern gemeinsam das psychologische Potential des Humors emotional, kognitiv und kommunikativ (siehe oben) zu entwickeln und für KlientIn und TherapeutIn nutzbar zu machen. Therapeutisch wirksamer Humor ist weniger eine 'nette' Eigenschaft oder lustig-listige Intervention, sondern vielmehr eine Fähigkeit, in kurzer Zeit Zugang zu Ressourcen und neuen Perspektiven zu finden:

 

Beispiel:

Ein 20-jähriger, differenziert und sehr sensibel wirkender Jugendlicher erschien zu einem Erstgespräch. Seine zwei übereinander getragenen, mit Nieten besetzten, schweren Lederjacken und die Cowboystiefel standen in starkem Gegensatz zu seinem feingliedrigen Körperbau und den etwas feminin wirkenden langen blonden Haaren. Er machte kein Hehl daraus, dass er von seiner Familie geschickt wurde und diese Stunde nur absitzen wollte, um seinen guten Willen unter Beweis zu stellen. Nachdem er mir seine derzeitige, im Moment für ihn verzweifelte Situation bezüglich Freundin und Ausbildung geschildert hatte, berichtete er mir über die akute Platzangst, die es ihm äusserst schwer mache, überhaupt noch seine Wohnung zu verlassen, geschweige denn einzukaufen oder auszugehen. Aus diesem Grund plante er auch, vorübergehend wieder bei seinen Eltern einzuziehen. Auf meine Frage, wie er denn gerne sein möchte, beschrieb er mir seine Wunschvorstellungen von totaler Unabhängigkeit und Ueberlegenheit. Inspiriert von seiner Kleidung erwähnte ich 'John Wayne'. "Nein, Clint Eastwood!", verbesserte er mich spontan. Ich befragte ihn näher zu konkreten Angstsituationen. Er schilderte mir seine Beklemmungen, v.a. die Vorstellung, im Gemischtwarenladen, den er regelmässig aufsuchte, von Uebelkeit befallen zu werden und schlimmstensfalls vor der Kasse erbrechen zu müssen. Ich fragte ihn, ob er sich schon einmal, vielleicht auch in der Oeffentlichkeit, habe übergeben müssen. Als er dies verneinte, malte ich ihm solche Szenen aus und beschrieb ihm, wie es platschen, triefen und riechen würde, wenn er nicht nur die Regale, sondern auch den Nacken des Vordermannes anpeilen würde. Seine Phantasien folgten meinen Beschreibungen und er signalisierte sowohl Abneigung als auch Neugierde. "Es gäbe da eine Möglichkeit", begann ich mich vorsichtig vorzutasten, während ich verschiedene Filmszenen mit Clint Eastwood erinnerte. "Stellen Sie sich vor, Sie hätten an drei aufeinanderfolgenden Tagen den Laden von oben bis unten vollgekotzt", führte ich weiter aus und beobachtete seine ambivalenten Reaktionen, "und nun kommen Sie wieder durch die Türe...Sie benötigen keinen Colt, alle Menschen halten den Atem an in Erinnerung an das letzte Mal...jeder drückt sich eng an die Wand..., an der Kasse lässt man Sie ehrfürchtig vor: 'bitte nach Ihnen', vielleicht will man nicht einmal Geld von Ihnen...!" Er folgt wie gebannt meinen zum Teil theatralisch ausgemalten Schilderungen und beginnt, mehr und mehr (schmunzelnd) Gefallen daran zu finden. Schliesslich erlaubt er sich, herzhaft zu lachen und wir schmücken diese Episode gemeinsam weiter aus. Am Ende dieser ersten Stunde entschied er sich für eine weitere, nicht sicher, "ob Sie eigentlich noch ein bisschen verrückter sind, als ich. "(wohlwollend lächelnd).

Nach der ersten Sitzung konnte sich dieser Klient wieder freier ausserhalb seiner Wohnung bewegen und einkaufen gehen. Die humorvollen Vorstellungen begleiteten ihn und verhinderten weitere panische Reaktionen. Die Therapie war damit nicht etwa beendet, aber nun konnte sie beginnen. Ich hatte 'einen Fuss in der Türe'!

Dies ist ein typisches Beispiel für die Entwicklung therapeutisch wirksamer, humorvoller Bilder und Phantasien innerhalb des Bezugsrahmens von KlientInnen. ('Inframing',14)

 

ll. Grundhaltung und Beziehung

Die Fähigkeit 'Humor' lässt sich zwar fördern, aber nicht fordern! Die von Carl Rogers (15) postulierten Therapeutenvariablen 'Empathie', 'Echtheit' und 'Wertschätzung' sind für die therapeutische Arbeit mit Humor geradezu unabdingbar. Nur eine wohlwollend gewährende Grundhaltung erlaubt es TherapeutInnen, im gemeinsamen Prozess konstruktiv humorvolle Bilder und Phantasien zu entwickeln. Entscheidend ist schliesslich die Qualität des Humors, denn viele KlientInnen sind durchaus in der Lage, sich selbst auf witzige Art abzuwerten oder zu verletzen. Diese Qualität kann nur durch die entsprechende Grundhaltung und das Beziehungsangebot der TherapeutInnen gewährleistet werden.

 

lll. Humor und Trance

Die Arbeit mit Humor induziert oft einen leichten Trancezustand (Hain,16), da verschiedene Ebenen (z.B. kognitive und emotionale) gleichzeitig angesprochen werden. Daher ist es für TherapeutInnen sehr wichtig, einerseits die Führung zu übernehmen, sich aber gleichzeitig von den - in erster Linie nonverbalen - Reaktionen und Hinweisreizen (minimal cues) der KlientInnen leiten zu lassen. Humorvolle Phantasien und Perspektiven entfalten gerade aufgrund dieses leichten Trancezustandes eine nachhaltige therapeutische Wirkung (siehe Beispiel).

Humorvolle Interventionen können beim Gegenüber auch eine spontane, subjektiv als leichte Verwirrung erlebte, "Konfusions-Trance" erzeugen, die - eingebettet in einer wohlwollend wertschätzenden Beziehung (s.oben) - Widerstand reduziert, eingefahrene Denkmuster unterbricht und somit Raum für neue Perspektiven sowie Denk - und Handlungsmöglichkeiten eröffnet.

 

lV. Integration und persönlicher Stil

Therapeutische Arbeit mit Humor setzt die (Selbst-) Erfahrung und Bereitschaft voraus, auch die eigene Rolle und Position aus humorvoll wohlwollender Distanz beleuchten und z.B. in Gegenwart der KlientInnen relativieren zu können. Humorvolle Aeusserungen wirken nur dann glaubhaft, wenn sie den eigenen therapeutischen Stil (v.a. nonverbal) ergänzen und nicht sabotieren. Eine transparente Inkongruenz zwischen verbalen Aeusserungen und nonverbaler Empathie erweitert die therapeutische Handlungsfreiheit, ohne die Variablen 'Echtheit' und 'Wertschätzung' zu unterlaufen (In der 'Provocative Therapy' nach F.Farrelly (17,18,19) wird gerade diese 'Inkongruenz' konsequent genützt, um auch KlientInnen mit schwerer Symptomatik aus ihrer Problemhaltung hinauszu(be)fördern). Durch diese Art der Kennzeichnung wird es möglich, die Rolle des Clowns, Hofnarren oder Advocatus Diaboli (Provocative Therapy) ohne Einbusse an natürlicher Autorität oder Respekt mit der TherapeutInnenrolle und dem eigenen Stil zu integrieren. Ist dies aus Gründen des Arbeitsfeldes, des therapeutischen Ansatzes oder des persönlichen Stils nicht möglich, so kann, wie z.B. in Spitälern (Clinic Clowns) oder auch psychotherapeutischen Ansätzen (Titze,20), die explizit mit Humor arbeiten, die "Humorrolle" durch den Beizug eines oder mehrerer Clowns personell klar abgegrenzt werden, um etwa die Autorität bzw. Seriosität des Arztes oder Therapeuten, sowie die Kontinuität der Behandlung nicht in Frage zu stellen.

 

Diskussion

Es ist sehr erfreulich, dass Lachen und Humor in der psychotherapeutischen Fachliteratur zunehmend an Bedeutung gewinnen und aus ihrem Dornröschenschlaf erweckt werden. Obwohl bereits Freud, Adler, Erickson und v.a. Frankl dem Humor eine therapeutische Wirkung attestierten, blieb er stets ein bestenfalls angenehmer Nebeneffekt, oder wurde höchstens (als Lektüre) bis ins Wartezimmer der Psychotherapie vorgelassen. Farrelly andererseits entdeckte schon in den 60-er Jahren, wieviel mehr an Herausforderung KlientInnen zugemutet werden kann, wenn es humorvoll geschieht. Dass der Humor noch nicht den Stellenwert bei PsychotherapeutInnen einnimmt, der seinem Potential entspricht, liegt nicht zuletzt an seiner Vielschichtigkeit und der damit verbundenen Verletzungsgefahr.

Darüber hinaus lassen sich aber auch deutliche kulturelle Unterschiede in Handhabung und Anwendung erkennen. Während sich in den USA bereits eine Art "Humorindustrie" (mit leider auch ihrerseits typischen Auswüchsen) vor allem im Bereich Spital- und Kranken-pflege entwickelt hat und einige Organisations- und Management Beraterfirmen voll auf Lach- und Humormanagement setzen (vgl. Weinstein,21), oder in Indien auf die Initiative eines Arztes inzwischen über 150 Lachklubs von regelmässig aktiv praktizierenden TeilnehmerInnen gegründet wurden, scheinen Lachen und Humor in unseren Breitegraden noch wenig mit Professionalität, effizienter Arbeit und Seriosität vereinbar zu sein - die Psychotherapie bildet da keine Ausnahme.

Meine persönlichen Erfahrungen der letzten 12 Jahre zeigen aber, dass KlientInnen und TherapeutInnen enorm profitieren können, wenn sie es sich, unter Beachtung der beschriebenen Grundbedingungen, erlauben, humorvolle Perspektiven zu entwickeln. TherapeutInnen, die mit Humor arbeiten möchten, sollten jedoch zunächst bei sich selbst beginnen, diese heilsame Kraft zu erfahren und erst dann in ihr therapeutisches Handeln integrieren.

 

Humor als Fähigkeit...

Stand bei meinen bisherigen Ausführungen der von TherapeutInnen initiierte und gemeinsam mit den KlientInnen entwickelte Humor als gezielte und hilfreiche Intervention im Vordergrund, so möchte ich weiter hervorheben, dass Humor - unabhängig von Therapie oder Beratung - heute als lernbare Fähigkeit betrachtet werden muss. Eine Fähigkeit, deren Bedeutung in den Bereichen 'coping strategy', Psychohygiene und Prophylaxe nicht länger unterschätzt werden sollte. Rufen wir uns sein psychologisches Potential und die Wirkung humorvoller Bilder und Phantasien in Erinnerung (so absurd z.B. Münchhausens Versuch, sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen zu wollen auch anmuten mag, eine absichtlich oder spontan entwickelte humorvolle Phantasie kann unter Umständen diese befreiende Wirkung haben), so wäre es geradezu leichtfertig, die Förderung von Humor auf Beratung, Therapie oder Krankenpflege beschränken zu wollen.

Bleibt die Frage: Humor lernen - aber wie ?

Da der Humor meist noch für eine Eigenschaft ("die einen haben ihn, die anderen nicht") gehalten wird, erscheinen spezielle Programme für Humorentwicklung und -training, wie sie u.a. von McGhee (11) oder Weinstein (21) entwickelt wurden, vielen Menschen spontan als künstlich oder gar lächerlich.

Dieses Lernen muss also zuerst in unseren Köpfen beginnen.

 

Der international bekannte Schweizer Pantomime und Clown Dimitri (22) spricht von der "Philosophie des Lachens", deren Charakteristik darin beruht "mich selber nicht so ernst zu nehmen "(S.23). "Ueber sich selber lachen zu können, ist eine Art Selbstkritik. Indem ich über mich selber lache, stehe ich über der Situation, bin bewusst oder unbewusst darüber erhaben" (S.22). Für ihn ist der Humor ein Talent, das es bei sich selbst zu entdecken und fördern gilt: "ich glaube, jeder kann den Humor 'lernen', ihn zu einer Lebenshaltung werden zu lassen. Für mich ist er sogar noch mehr: er ist eine Philosophie - eine Philosophie des Lachens."

Für den 'Hausgebrauch' ist es nicht unbedingt nötig, zum Philosophen zu werden, doch kennzeichnen Dimitri's Worte vieles, was den Humor erst heilsam und zur Fähigkeit werden lässt. Als ebenso wichtig erachte ich die Erfahrung, dass man Humor weder 'haben', 'besitzen' noch 'festhalten' kann, er aber dafür um so leichter 'abhanden kommt' oder gänzlich zu 'fehlen' scheint.

Humor wird also nur dann zur lernbaren Fähigkeit, wenn er bewusst und ernsthaft gefördert und täglich von neuem entwickelt wird.

 

...und als soziale Kompetenz

Wie am Beispiel Psychotherapie exemplarisch illustriert, ist es für die professionelle Anwendung von Humor unerlässlich, Potential, Anwendungsbereiche und Grundbedingungen zu erarbeiten. Während sich die Zielsetzung in anderen Anwendungsbereichen, wie z.B. Pflege, Pädagogik, Management, unterscheiden kann, sind die übrigen Grundbedingungen (z.B. Grundhaltung) durchaus übertragbar. Wird der Humor nicht mehr als gegebene Eigenschaft, sondern - neben seinen spezifisch therapeutischen Möglichkeiten - vor allem als Beziehungsvariable (vgl. das emotionale und kommunikative Potential) erkannt und gezielt genutzt, wird er zur sozialen Kompetenz. Eine bewusste Absicht, Erfahrung und angemessene Zielsetzung vorausgesetzt, kann wohlwollender Humor gerade "hierarchisch" professionelle Beziehungen (AerztIn-PatientIn, TherapeutIn-KlientIn, LehrerIn-SchülerIn, PflegerIn-PatientIn, ErzieherIn-Kind/Jugendliche/r etc.) beschleunigen, vertiefen und dauerhaft tragfähiger werden lassen. In Institutionen kann er so zu einer präventiven «Kultur» der Psychohygiene entwickelt werden, doch ist auch hier einiges an Vorarbeit zu leisten. Dass sich dieser Aufwand lohnt, sei es im klinischen, sozialen oder wirtschaftlichen Bereich, zeigen die Beiträge erfahrener und renommierter Fachleute an den seit 1996 durchgeführten "Humor" - Kongressen in Basel (23) und Arosa (24) auf eindrückliche Art und Weise. Das wachsende Interesse vonseiten der TeilnehmerInnen und der Oeffentlichkeit verdeutlicht das vorhandene Bedürfnis und gibt eine ermutigende Perspektive.

Wer zuletzt lacht, hat schon viel verpasst!


Literatur

(1) Titze, M., Eschenröder, C., Salameh, W., (1994). Therapeutischer Humor - ein Ueberblick. In: Integrative Therapie 3/1994, S. 200 - 234.
(2) Titze, M., Eschenröder, C,. (1998). Therapeutischer Humor - Grundlagen und Anwendung. Frankfurt: Fischer.
(3) Bernhardt, J.A., (1985). Humor in der Psychotherapie. Weinheim: Beltz.
(4) Heekerens, H-P., (1992). Humor in der Familientherapie - zum Stand der Diskussion. In: Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie, 1992, 41 (1), 25 -30.
(5) Ruch, W., (1993). Die Emotion Erheiterung: eine Uebersicht über den Forschungsbereich. In: Montada, L. (Hrsg.), Bericht über den 38.Kongress der DGfP in Trier 1992. Göttingen: Hogrefe, 277-285.
(6) Ruch, W., (1995). "Sinn für Humor" als Persönlichkeitsmerkmal: vergessen, fehlkonstruiert neukonzipiert. In: Pawlik, K.(Hrsg.). Bericht über den 39. Kongress der DGfP in Hamburg 1994. Göttingen: Hogrefe, 689-694.
(7) Ruch, W., (1998). "The sense of humor". Berlin: Mouton de Gruyter
(8) Berk, L., et al. (1989). Neuroendocrine and stress hormon changes during mirthful laughter. American Journal of the Medical Sciences, 1989, 298, 390-396.
(9) Berk, L., & Tan, S., (1996). A positive emotion, the eustress of mirthful laughter, modulates the immune system lymphokine interferongamma. Psychoneuroimmunology Research Society Annual Meetings, Abstract Supplement, April 17-20, 1996, A.1.- A.4.
(10) McGhee,P.E., (1991). The Laughter Remedy. Randolph, N.Y.: Selbstverlag.
(11) McGhee, P.E., (1996). Health, Healing and the Amuse System.Humor as Survival Training. Dubuque, Iowa: Kendall/Hunt Publ. Company.
(12) Rubinstein, H., (1985). Die Heilkraft Lachen. Bern: Hallwag.
(13) Cousins, N., (1996). Der Arzt in uns selbst. Wie Sie Ihre Selbstheilungskräfte aktivieren können. Reinbek: Rowohlt (Taschenbuch).
(14) Hain, P., (1993). Inframing - Bitte einsteigen.....und die Türen öffnen! In: Mrochen,S., et al. (Hrsg.), Die Pupille des Bettnässers. Heidelberg: Carl Auer.
(15) Rogers, C., (1973). Die klientbezogene Gesprächspsychotherapie. München: Kindler.
(16) Hain, P., (1998). Humor und Hypnotherapie. In: Revenstorf,D.& Peter,B. (Hrsg,1998). Hypnose in Psychotherapie und Psychosomatik. Ein Manual für die Praxis. In Vorbereitung.
(17) Farrelly, F., Brandsma, J., (1985). Provokative Therapie. Berlin: Springer.
(18) Höfner, E., Schachtner H.U., (1995). Das wäre doch gelacht. Reinbek: Rowohlt.
(19) Wippich, J. (1996). Lachen lernen. Einf. in die Provokative Therapie Frank Farrellys. Paderborn: Junfermann.
(20) Titze, M., (1995). Die heilende Kraft des Lachens. Frühe Beschämungen mit therap. Humor heilen. München: Kösel.
(21) Weinstein, M. (1996). Lachen ist gesund - auch für ein Unternehmen: Lach- statt Krachmanagement. Wien: Ueberreuter.
(22) Dimitri. (1995). Humor. Gespräche über die Komik, das Lachen und den Narren. Dornach: Verlag am Goetheanum.
(23) Titze, M., Hain, P., (1996 - 1998). Wissenschaftliche Leitung der Basler "Humor i.d.Therapie"- Kongresse (96, 97, 98) Info: Messe Basel.
(24) Hain, P., Titze, M., (1996 - 1998) Wissenschaftliche Leitung der Aroser "Heilkraft Humor" Kongresse (96, 98) Info: Arosa Tourismus.

Peter Hain
Lic.phil. klin. Psychologe FSP
Psychotherapeut FSP u. SPV
Stauffacherstr. 149
8004 Zürich



Humor und Heiterkeit -
die wiederentdeckten Therapeutika

Von Michael M. Titze


    Humor zu haben ist die List,
    zu lachen, wenn´s zum Weinen ist.
    Wilhelm Busch

Die Behandlung körperlicher und psychischer Leiden gilt im allgemeinen als eine sehr ernst-hafte Angelegenheit; trotzdem (oder vielleicht gerade deswegen) gibt es viele Witze über diese Themen. Die Idee, dass man nicht nur über die Behandlung psychischer und organi-scher Krankheiten lachen kann, sondern dass Humor und Lachen auch in der Therapie für den Prozess der Heilung förderlich sind, ist in den letzten zwanzig Jahren immer häufiger vertreten worden (vgl. Cousins 1981; Farrelly & Brandsma 1985; Fry & Salameh 1987, 1993; Höfner & Schachtner 1995; Moody 1979; Rubinstein 1985; Titze 1985, 1996; Titze & Eschenröder 1998).

Was ist eigentlich Humor? Das Wort an sich besitzt verschiedene Bedeutungen. Es ist lateinischen Ursprungs und geht auf das Wort umor zurück, das "Feuchtigkeit" oder "Flüssigkeit" bedeutet (vgl. Wolf 1986, S. 24). Im weiteren bezieht es sich auf die Körpersäfte (humores) Schleim, Blut, schwarze und gelbe Galle. Ihre jeweilige Dominanz galt für die antike Temperamentenlehre, die von dem römischen Arzt Galen in einem gross angelegten Werk referiert wurde, als Ursache für die typologische Besonderheit des Phlegmatikers, Sanguinikers, Melancholikers und Cholerikers (vgl. Wolf 1986, S. 30; Titze & Gröner 1989, S. 30-33). In der Renaissance begann man davon auszugehen, dass ein Mensch dann über einen "guten Sinn für Humor" verfügt, wenn diese vier humores bei ihm in einem ausgeglichenen Verhältnis zueinander standen. Umgekehrt galt eine Person, bei der dieser Ausgleich nicht zustande gekommen war, als "humorlos".

Wie McGhee (1979, S.5) bemerkt, war man schon vor 2000 Jahren dazu übergegangen, das Wort Humor auch als Bezeichnung für einen besonderen Gemütszustand bzw. eine Disposition zu verwenden, die durch eine besondere Sensitivität bzw. Wertschätzung gegenüber lustigen, absurden, inkongruenten oder komischen Ereignissen gekennzeichnet ist. Schon in der Zeit von Plato und Aristoteles wurde das Lachen als ein angemessenes Mittel angesehen, um aus der Norm fallende Verhaltensweisen zu kontrollieren und zu korrigieren.

Erst in der Neuzeit wurde dann solchen Personen ein Sinn für Humor zugesprochen, die in der Lage waren, ungewöhnliche oder absurde Ideen zu entwickeln und diese in ihrem Handeln entsprechend umzusetzen. Dabei konnten diese Menschen Ihre Fähigkeit unter Beweis stellen, gerade solche Regeln auf den Kopf zu stellen, die den "Ernst des Lebens" definieren. Diese lustvolle Freude am Unsinn wird gemeinhin als "lustig" bezeichnet. Damit erweist sich der Humor als Ausdruck einer geistigen Kapazität. Denn der humorvolle Mensch vollzieht willentlich eben das, was im Komischen ungewollt stattfindet: eine Grenzüberschreitung. Der Humor ist damit die kognitive Basis für eine spezifische emotionale Reaktion, die sich auch physiologisch auswirkt. Diese Humorreaktion entspricht einem Zustand von Erheiterung, der sich in seiner unverkennbarsten Form im Lachen äussert.

 

Die Erheiterung

Als Erheiterungbezeichnen wir jenes komplexe Humorerlebnis, das zum Lachen bzw. Lächeln führen kann (vgl. Ruch 1995, S. 605). Die entsprechende Reaktionsabfolge kann, wie Krech und Crutchfield (1968, S.262) bemerken, durch eine "Unzahl verschiedener und unverbundener Reizbedingungen hervorgerufen werden". Erheiternd wirken sämtliche Reize, die einen Menschen in einen belustigten Gemütszustand versetzen, aus dem heraus Fröhlichkeit, Freude und Vergnügen entspringen, die ihrerseits zum Lächeln bzw. Lachen anregen. "Erheiterung" lässt sich somit als ein emotionales Konstrukt definieren, das sich aus einem zeitweiligen Anwachsen einer heiteren Grundstimmung ergibt und das zu nachweisbaren Auswirkungen in sämtlichen Bereichen des menschlichen Organismus führt.

In der Regel entsteht die Humorerfahrung (Erheiterung), nachdem Kontraste (logische oder moralische Normverstössen, Unpassendes oder Widersinniges) wahrgenommen wurden. Koestler (1990, S.133) hat dieses Kontrastphänomen als erster beschrieben. Er spricht ihm die einzigartige Bedeutung einer Kommunikationsform zu, "bei der ein Reiz auf einer hohen Stufe der Komplexität eine stereotype, vorhersehbare Reaktion auf der physiologischen Reflexstufe (= Lachen) auslöst". Diese Reaktion scheint keinen anderen biologischen Nutzen zu haben, als den Menschen "vorübergehend vom Stress zielgerichteter Tätigkeiten" (ebd.) zu erlösen. Folgerichtig spricht Koestler in diesem Zusammenhang von einem "Luxusreflex" (ebd.), der nur dem Menschen zu eigen ist.

 

Die physiologischen Wirkungen der Erheiterung

Ein Humorerlebnis (Erheiterung) äussert sich unverkennbar im Lachen. Rubinstein (1985, S. 54) definiert das Lachen als "eine unwillkürliche Körperreaktion auf eine als angenehm empfundene Emotion". Er erläutert dies im einzelnen:

"Diese Körperreaktion besteht aus einer Reihe von kleinen, aber heftigen Atembewegungen, die von unwillkürlichen Kontraktionen der Gesichtsmuskeln abhängen. Sie werden immer von einer Vokalisierung begleitet, die durch heftiges Ein- und Ausatmen mit Hilfe des Zwerchfells gebildet wird. Gleichzeitig lockern sich die übrigen Muskeln mehr oder weniger stark."

So lässt sich feststellen, dass das Lachen eine unwillkürlich körperliche Reaktion ist, die reflexartig ist und lustvolle emotionale Zustände miteinbezieht. Das Lachen führt zu Veränderungen im Bereich der Atmung und der Muskulatur, ausserdem geht es mit komplizierten neurologischen Abläufen einher. Im folgenden soll dies näher erläutert werden.

 

Muskuläre Veränderungen

Vor 125 Jahren beschrieb Charles Darwin (1872/1989, S. 154-156) die physiologischen Auswirkungen des Lachens:

"Lachen entsteht aufgrund einer tiefen Einatmung, die von krampfartigen Kontraktionen in der Brust, vor allem aber im Zwerchfell gefolgt wird [...] Beim Lachen ist der Mund mehr oder weniger weit geöffnet, die Mundwinkel sind stark nach unten gezogen, gleichzeitig besteht aber die schwache Tendenz, sie auch nach oben zu ziehen; die Oberlippe ist dabei leicht gewölbt [...] Der ganze Mundbereich wird dabei ausschliesslich durch die grossen zygomatischen Muskeln beherrscht, deren Funktion es ist, die Mundwinkel nach oben bzw. nach unten zu ziehen [...] Die oberen und unteren orbicularen Augenmuskeln werden gleichzeitig mehr oder weniger stark kontrahiert. Dabei besteht eine sehr enge Beziehung zu den Muskeln, die oberhalb der Oberlippe verlaufen [...] Durch das gleichzeitige Zurück- und Hochziehen der Mundwinkel während der Kontraktion der grossen zygomatischen Muskeln und durch das Heben der Oberlippe werden die Wangen nach unten gezogen, Dadurch bilden sich Falten unterhalb der Augen [...] Die Augenbrauen werden leicht gesenkt, was eine Folge der Kontraktion der oberen wie auch der unteren orbicularen Muskeln ist [...] Durch das Heben der Oberlippe werden die Wangen nach oben gezogen, so dass die Nase kürzer erscheint und die Haut an der Nasenwurzel in feine waagrechte Falten gelegt wird [...] Die oberen Vorderzähne werden gewöhnlich freigelegt. So wird eine markante nasolabiale Falte geformt, die von beiden Nasenflügeln zu den Mundwinkeln verläuft [...] Bei starkem Lachen füllen sich die Augen mit Tränen [...] Die Atemmuskulatur (und selbst Teile der Skelettmuskulatur) werden gleichzeitig rapiden vibratorischen Bewegungen unterworfen. Die Unterkiefer werden nicht selten in diese Bewegung mit einbezogen, was Grund dafür ist, dass sich der Mund nicht weit öffnen kann [...] Während eines exzessiven Lachens wird der ganze Körper oft förmlich nach hinten geworfen und in einer fast konvulsiven Weise durchgeschüttelt; die Respiration ist stark eingeschränkt; der Kopf und das Gesicht werden mit Blut überschwemmt, wobei sich die Venen weiten; die orbicularen Muskeln werden spasmodisch zusammengezogen, so dass sie die Augen verdeckt erscheinen lassen. Der Tränenfluss kann sich ungehemmt entfalten [...]"

Das Lachen wirkt sich demnach wellenförmig auf die gesamte Muskulatur aus. Von besonderer Bedeutung sind die flachen Muskeln im Gesichtsbereich (Stirn, Schläfen, kleines und grosses Jochbein, Lippen und Augenlider). Insbesondere die "zygomatische" Muskulatur des Jochbeins formt dabei den typischen Lachausdruck.

Im Lachen werden auch die Brustmuskeln aktiviert, was die Voraussetzung für einen erhöhten Gasaustausch in der Lunge schafft. Der Hauptmuskel für das Einatmen ist das Zwerchfell. Dieses wird beim Lachen stark aktiviert, so dass die Atemkapazität bedeutend erhöht wird.

Neben dieser Aktivierung der willkürlichen Skelettmuskulatur kommt es beim Lachen auch zu einer starken Anregung der ("glatten") unwillkürlichen Muskulatur. So erhöht sich der Herzrhythmus zunächst, um später dauerhaft abzusinken, die Muskulatur der Arterien entspannt sich, so dass das Gefässvolumen erhöht wird. Damit verringert sich der arterielle Druck. Ebenso öffnen sich die Bronchien durch das Spiel der glatten Muskulatur weiter, so dass die Durchlüftung der Lungen gefördert wird.

 

Die Atmung

Die Atmung ist im wesentlichen eine Funktion der Muskulatur des Brustkorbs. Die Muskeln, die für das Ausatmen verantwortlich sind, liegen zwischen den Rippenbögen. Sie werden beim Lachen ebenfalls aktiviert, wodurch die Lungenelastizität gefördert wird.

Im Lachen wird ausserdem die Lungenfunktion konvulsivisch gesteigert, wobei die Einatmung vertieft und verlängert wird, während die Atmungsphase kurz ist. Dabei wird beinahe das gesamte Luftvolumen der Lunge stossweise herausgepresst, was den Kehlkopfbereich mit einbezieht, so dass die Stimmbänder aktiviert werden. Dadurch entstehen die typischen stakkatoartigen Lachlaute.

Die intensive Lachatmung regt den Gasaustausch in der Lunge deutlich an (Rubinstein 1985, S. 59). Das wiederum führt zu einer Sauerstoffanreicherung im Blut. Dies ist für die Verbrennungsvorgänge im Körper von grosser Bedeutung, da dadurch der Stoffwechsel der biologischen Fette entscheidend gefördert wird. Ein Abfallprodukt dieses Verbrennungsvor-gangs ist die Kohlensäure, die bei der Lachatmung konsequent ausgestossen wird. Denn die Vorratsluft in den Lungen wird fast vollständig entleert. Rubinstein schätzt, dass der Wert des Gasaustausches während des Lachens das Drei- oder Vierfache desjenigen im Ruhezustand erreicht.

Rubinstein (1985, S. 79) weist in diesem Zusammenhang auf die Bedeutung des Lachens als einer heilgymnastischen Atemtherapie hin:

"Viele Menschen wissen nicht, wie man richtig atmet; ihre Atmung ist zu kurz, zu flach. Diese Art der Atmung mit offenem Mund und ohne Atempause kann man bei ängstlichen Patienten beobachten. Es ist jedoch gerade diese At-mung, die Angst hervorruft bzw. steigert, indem sie eine respiratorische Alkalose des Atemsystems hervorruft, die für die neuromuskuläre Übererregbarkeit verantwortlich ist. Die Atmung beim Lachen ist im Gegensatz dazu eine 'gute' Atmung, die gerade durch ihre Merkmale die Alkalose bekämpft und die Angst vermindert."

Diese positive Beeinflussung der Atmung ist gesundheitsfördernd. Viele verbreitete Beschwerden können dabei günstig beeinflusst werden. Die oberen Luftwege werden, ähnlich wie beim Husten, von störenden Sekreten befreit. Der Gasaustausch wird erhöht, so dass unter anderem die Ausscheidung von Cholesterin gefördert wird (ebd., S. 85).

 

Die neurohormonale Bedeutung des Lachens

Das Lachen bringt komplizierte neurologische Strukturen ins Spiel. Im Jahre 1953 entdeckte der Neurophysiologe Olds das Lustzentrum im Gehirn. Es ist im sogenannten limbischen System lokalisiert. Von diesem System gehen aber auch andere Affekte wie Wut und Aggression aus. Die Übertragung solcher Gefühlsreaktionen erfolgt durch die Vermittlung des neurovegetativen Systems über die Neurotransmitter, die sich im Bereich der Synapsen (dem Abstand zwischen zwei Zellen) auswirken. Dadurch wird die Nervenüberleitung beeinflusst. Die Aktivität der Neurotransmitter wird durch bestimmte Hormone bzw. "Neuromodulatoren" erweitert oder vermindert. Dazu gehören die Endorphine ("inneres Morphium") und die Enkephaline. Der Neurologe Fry (1989; 1993) stellte in kontrollierten Untersuchungen fest, dass nach einem ausgiebigen Lachen die körpereigene Hormonproduktion zum einen gesteigert wird und zum anderen die Zirkulation gewisser Immunsub-stanzen für Stunden erhöht ist.

Herzhaftes Lachen übt auf das neurovegetative System eine Schockwirkung aus, die das gesamte Herz-Kreislauf-System aktiviert. Zunächst kommt es zu einer Beschleunigung des Herzschlags. Daran schliesst sich eine längere Phase der Entspannung an, die unter der Dominanz des Parasympathicus steht: Der Herzrhythmus verlangsamt sich und der Blutdruck wird gesenkt.

Walsh hatte schon im Jahre 1928 angenommen, dass "die Widerstandskraft des Organismus gegen Krankheit erhöht" wird, wenn ein Mensch häufig und regelmässig lacht (zit. n. Moody 1979, S.56). Dies wird durch die Befunde der modernen Gelotologie bestätigt (vgl. Berk et al. 1989; Berk et al. 1991).

 

Die Gelotologie

Mitinitiator einer Forschungsrichtung, die sich seit neuestem als "Gelotologie" (abgeleitet von griech. gelos = Lachen) bezeichnet, war der amerikanische Wissenschaftsjournalist Norman Cousins. Vor etwa 30 Jahren erkrankte er an einer Spondylarthritis, d. h. einer progredienten degenerativen Entartung der Grundsubstanz der Gelenke und der Wirbelsäule. Diese Erkrankung war mit sehr starken Schmerzen verbunden und hatte eine denkbar schlechte Prognose. In seinem autobiographischen Krankheitsbericht "Der Arzt in uns selbst" (1981) gibt Cousins eine Überlebenschance von 1:500 an. Er kannte Berichte aus wissenchaftlichen Zeitschriften, in denen der unheilvolle Einfluss von negativen Gemütszuständen auf das innersekretorische System des Menschen beschrieben wurde. So versuchte er den Umkehrschluss: Er bemühte sich systematisch, sich zum Lachen zu bringen, indem er sich lustige Filme vorführen oder witzige Bücher vorlesen liess. Dabei stellte Cousins bald fest, dass seine Schmerzen weitgehend nachliessen, nachdem er etwa zehn Minuten lang intensiv gelacht hatte. Ausserdem konnte er danach mindestens zwei Stunden problemlos schlafen. Diese subjektive Erfahrung wurde bald durch spezifische Tests zur Ermittlung des Entzündungsgrades im Bereich der Wirbelsäule bestätigt. Denn es kam zu einer signifikanten Abnahme der sogenannten Sedimentationsrate nach jeder einzelnen "Lachkur".

Die Gelotologen haben dafür mittlerweile eine Erklärung gefunden: Beim Lachen werden bestimmte körpereigene Hormone, die sog. Katecholamine Adrenalin und Noradrenalin, in den Blutkreislauf ausgeschüttet. Sie rufen eine wirksame Entzündungshemmung hervor. Berk (1994, 1996) konnte experimentell nachweisen, dass sich in der Folge eines intensiven Lachens signifikante neuroendokrinologische Veränderungen ergeben. Dies bezieht sich insbesondere auf Stresshormone. So kam es zu einem Ansteigen aktivierter T-Zellen (T-Lymphozyten). Sie üben einen positiven Einfluss bei Krebs und kardiovaskulären Erkrankungen aus. Ferner erfolgte auch eine Erhöhung der Anzahl natürlicher Killer-Zellen. Sie sind für die körpereigene Immunabwehr von besonderer Bedeutung, da sie gerade solche Zellen im Körper eliminieren, die durch eine virale Infektion geschädigt wurden. Entsprechendes gilt für bestimmte entartete Tumorzellen. Berk und seine Mitarbeiter konnten nachweisen, dass die Aktivität und Anzahl dieser natürlichen Killer-Zellen nach einem intensiven Lachen ansteigen. Berk (1994, S. 3) schreibt:

"Es ist erstaunlich, dass etwas so einfaches wie ein heiteres Lachen es ermöglichen kann, eine so signifikante immunologische Zelle wie die natürliche Killer-Zelle zu modulieren [...] Offensichtlich modifiziert heiteres Lachen die Physiologie und die Chemikalien, die die natürlichen Zellen affizieren, und es steigert ihre Anzahl und ihre Aktivität."

Berk stellt in seinen Untersuchungen ausserdem fest, dass es nach einem herzhaften Lachen zu einer Vermehrung der Immunglobulin-A Antikörper kommt. Diese sind von grosser Bedeutung für die körpereigene Immunabwehr. Als erste hatte dies die amerikanische Psychiaterin Kathleen M. Dillon (Dillon et al. 1985) festgestellt. Sie hatte ihren Versuchspersonen heitere Filmkomödien vorgeführt und im unmittelbaren Anschluss daran die Anzahl der Immunglobuline gemessen. Diese war dabei deutlich erhöht.

Immunglobuline sind Eiweisskörper, die sich im Mundraum befinden, um Viren und Bakterien Widerstand zu leisten. Sie gelangen aus dem Blut in den Speichel. Aus früheren Untersuchungen war bekannt, dass Stress und alle Arten negativer seelischer Befindlichkeit die Anzahl der Immunglobuline senken und so dem Keimbefall Vorschub leisten. Berk (1994, 1996) stellte tatsächlich fest, dass die Anzahl der Immunglobuline im Serum (Blut) nach einer Lachübung ebenso angestiegen war wie im Speichel. Die Aktivität der Immunglobuline bezieht sich vor allem auf den oberen respiratorischen Trakt und hilft, Verletzungen und Infektionen zu verhindern. (Bei Marathon-Joggern kommt es übrigens zum entgegengesetzten Effekt: Die Anzahl der Immunglobuline im Speichel nimmt ab, und die Anfälligkeit für Infektionen im respiratorischen Trakt erhöht sich).

Auch die Veränderung von Zytokinen nach einer deutlichen Humorreaktion ist untersucht worden. Dabei handelt es sich um Sezernierungsprozesse immunologisch aktiver Zellen, die signalübertragend und damit steuernd in den Ablauf immunologischer Zellkooperationsschritte eingreifen. Im Vordergrund steht dabei das Gamma-Interferon, ein Zytokin, das vom Immunsystem produziert wird. Seine antivirale Wirkung ist seit längerem bekannt. Ausserdem hemmt dieser Botenstoff die Vermehrung von Tumorzellen und steigert die Phagozytose-Aktivität von sensibilisierten Lymphozyten gegen Tumor-Target-Zellen. Berk (1995) konnte nachweisen, dass es nach einem herzhaften Lachen im Blut der betreffenden Probanden zu einer Vermehrung dieses Zytokins gekommen war.


Literatur

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