Die Geschichte des
Therapeutischen Humors.

von Dr. Michael Titze

Antike: Aristoteles und Cicero führen das Lachen auf die Wahrnehmung von Defekten bei einem als unterlegen beurteilten Menschen zurück («Degradationstheorie»). Dieser belustigende Aspekt wird zum Hauptgegenstand der Komödie. Das Narren- beziehungsweise Clownswesen hat hier seinen Ursprung.

Thomas Hobbes greift diesen Gedanken in seinem Hauptwerk «Leviathan» auf.

Britische Philosophen formulieren im 18. Jahrhundert die «Inkongruenztheorie»: Lachen entstehe, wenn eine Normabweichung wahrgenommen wird, die der «common sense» nicht tolerieren kann.

Arthur Schopenhauer gebraucht in diesem Zusammenhang den Terminus «paradox». Der «Ursprung des Lächerlichen» liegt für ihn in der Beigesellung von Bestandteilen einer Erscheinung, die nicht zueinander passen.

Die französische Lebensphilosophie entwickelt diesen Gedanken weiter: Lächerlich beziehungsweise komisch wirkt das, was zu einer «mechanischen Verkrustung der natürlichen Geschmeidigkeit des Lebendigen» führt. (Henri Bergson) Verkrampfte Menschen sind mit Marionetten zu vergleichen, die keinen Anspruch auf zwischenmenschliche Rücksichtnahme besitzen. Sie stehen ausserhalb der Gemeinschaft. Das Lachen, das sie auslösen, ist die "soziale Strafe für ihre Ungeselligkeit" (Bergson).

Englische und amerikanische Lachforscher der Jahrhundertwende führten die «Anästhesie des Herzens», die ein komischer Aussenseiter im Verlachen auslöst, auf phylogenetisch angelegte Instinktresiduen zurück. In grauer Vorzeit habe die grausame Erniedrigung des Gruppenfremden zur Stärkung der Kohäsion in der eigenen Bezugsgruppe geführt. Ausserdem führe das Auslachen zu einer emotionalen Befreiung.

Sigmund Freud griff diesen Aspekt in seiner 1905 vorgelegten Witztheorie gezielt auf. Danach setzt sich ein Mensch im Lachen über jene Hemmschwellen hinweg, die durch verdrängte Sexual- und Aggressionsimpulse aufgebaut wurden. Der Humor «erspare» dem Gewissen dabei die Empfindung von Mitleid.

Alfred Adler beschrieb 1914 erstmals in der Geschichte der Psychotherapie eine paradoxe Behandlungsmethode: Einem Patienten mit Schlafstörungen wurde angeraten, sich bewusst zu bemühen, nicht einzuschlafen.

In den Folgejahren wird diese Methode von Adler und seinen Schülern unter der Bezeichnung «Antisuggestion» immer häufiger angewandt. Rudolf Dreikurs schrieb 1933, es werde dem Patienten in nicht verletzender Weise angeraten, «gerade das zu üben, was er bis jetzt bekämpft hat, also sein Symptom zu verstärken».

1938 griff Viktor Frankl diese Methode unter dem Namen «paradoxe Intention» auf. Nach dem 2. Weltkrieg entwickelt er diese zu einer Hauptmethode der von ihm begründeten Logotherapie. Er sieht sie insbesondere bei angstneurotischen Patienten indiziert. Die moderne Humortherapie führt die entsprechenden Symptome auf schamspezifische Probleme zurück.

1953 rief Gergory Bateson die sogenannte Palo Alto-Gruppe ins Leben. Die beteiligten Forscher (Sozialwissenschaftler, Psychologen, Psychiater) befassten sich mit der Untersuchung paradoxer Kommunikationsweisen. Unter anderem entdeckten sie das «double bind»-Phänomen, das auch im Humor zur Geltung kommt, und zwar, «wenn plötzlich klar wird, dass eine Botschaft nicht nur methaphorisch gemeint ist, sondern auch wörtlich - und umgekehrt» (Bateson).

Die Aktivitäten der Palo Alto-Gruppe wirkten sich bahnbrechend in weiteren Bereichen der Psychotherapie aus: Don Jackson entwickelte paradoxe Strategien für die Familienberatung und Ehetherapie. Jay Haley bezog den genialen Aussenseiter Milton Erickson in die Arbeit der Palo Alto-Gruppe ein und

systematisierte dessen paradoxe Methoden der Hypnotherapie. Diese Ergebnisse griff Paul Watzlawick auf, um einen innovativen Ansatz einer paradoxen strategischen Kurztherapie zu erarbeiten. Watzlawicks Bücher erreichten eine Millionenauflage und machten ihn weltberühmt.

Albert Ellis, Begründer der Rational-emotiven Therapie, beschrieb in den 60er Jahren humorbezogene «Schamüberwindungsübungen». Dies ist für die moderne Humortherapie von wegweisender Bedeutung.

Der autobiographische Bericht des schwer erkrankten Wissenschaftsjournalisten Norman Cousins über eine Selbstheilung durch Lachen findet eine ungewöhnlich starke Beachtung (Der Arzt in uns selbst, rororo Sachbuch 9307). Damit wird auch die Arbeit der Gelotologen popularisiert.

Der Psychiater William F. Fry, Gründungsmitglied der Palo Alto-Gruppe begann in den 60er Jahren die physiologischen Auswirkungen des Lachens zu untersuchen. Er gilt als Nestor der «Humorphysiologie» beziehungsweise «Gelotologie» (Wissenschaft vom Lachen), die heute an verschiedenen amerikanischen Universitäten systematisch betrieben wird.

Fry analysierte die Arbeit von Komödianten, Kabarettisten und Clowns. Er verwendete Video-Bänder dieser «Humor-Praktiker», um seine Probanden zum Lachen anzuregen. Dadurch wurde die Bedeutung der Arbeit von Clowns dokumentiert. In den 70er Jahren entstanden Weiterbildungszentren für Kinderärzte, Krankenschwestern und Sozialerbeitern, die ein systematisches Training zum Krankenhausclown offerieren.

In den 80er Jahren entstanden verschiedene Fachgesellschaften im Bereich des «therapeutischen Humors». Viele Mitglieder sind Angehörige des Pflegepersonals. Kongresse werden veranstaltet, Zeitschriften und Newsletters ins Leben gerufen. In den USA sind inzwischen mehrere tausend Menschen, die im Gesundheitswesen wirken, in diesen Gesellschaften organisiert.

In den 70er Jahren begann der Sozialarbeiter Frank Farrelly seine Methode der «Provokativen Therapie» zu erproben. Sie ist ausschliesslich humorzentriert. Heute zählt die Provokative Therapie zu den innovativsten Formen der Psychotherapie. Sie ist weltweit verbreitet und auch in Deutschland und der Schweiz vertreten.

Der Krankenpfleger C. Metcalf begann nach seiner Ausbildung als Krankenhausclown im betrieblichen Bereich zu arbeiten. Er bietet Seminare für Manager an, die inzwischen weltweit bekannt sind. Metcalfs Anliegen ist die Prophylaxe von Stresserscheinungen, die sich als Folge innerbetrieblicher Konflikte (z.B. Mobbing) einstellen.

In Birmingham rief der Sozialarbeiter Robert Holden Anfang der 90er Jahre eine «laughter clinic» ins Leben, die mit öffentlichen Mitteln gefördert wird.

Der französische Arzt Henri Rubinstein führte zu Beginn der 90er gelotologische Behandlungsmethoden in mehrere Krankenhäuser aus dem Grossraum Paris ein. Dieses Projekt wird von der staatlichen «Fondation de France» gefördert.

In der Septemberausgabe 1995 befasst sich die Fachzeitschrift «Psychologie heute» in ihrem Leitartikel mit dem Thema «Therapeutischer Humor», und im Oktober 1996 findet in Basel der erste Internationale Kongress Humor in der Therapie mit hochkarätigen Referenten (z.B. Paul Watzlawick) statt. Diese beiden Ereignisse bedeuten den Durchbruch in Europa.

Vom 29. September bis 1. Oktober 2000 findet der
5. Int. Kongress Humor in der Therapie statt.

Dr. Michael Titze, Dipl.-Psych., Klinischer Psychologe (BDP), Psychotherapie - Psychoanalyse

Therapeutischer Humor.