Zusammenfassung:
Nach einem kurzen Ueberblick der Fachliteratur werden das physiologische und psychologische Potential des Lachens und des Humors aus der Sicht der professionellen Anwendung in Therapie, Beratung und Pflege dargestellt. Illustriert durch ein Fallbeispiel aus dem psychotherapeutischen Bereich werden die wichtigsten Grundbedingungen für eine wirksame Arbeit mit Humor, sowie Möglichkeiten, Gefahren und Bedeutung beschrieben und diskutiert. Anschliessend wird erörtert, dass Humor als Fähigkeit betrachtet und als soziale Kompetenz gefördert und entwickelt werden kann.
Ein Fremder nähert sich zwei Polizisten und fragt diese -auf Englisch - nach dem Weg zum Bahnhof. Die zwei Polizisten zucken ratlos mit den Schultern, worauf der Fremde es nochmals - auf Französisch - versucht. Nachdem er auch diesmal keine brauchbare Antwort erhält, versucht er es ein letztes Mal - auf Italienisch - und erntet wiederum die bereits bekannten Reaktionen. Der Fremde wendet sich enttäuscht ab und geht.
"Ja, Fremdsprachen sollte man können!" murmelt der eine Polizist nachdenklich.
"Und - was hat es ihm genützt?" erwidert selbstgefällig der andere.
Lachen und Humor wurden in letzter Zeit in der Fachliteratur (Psychotherapie, Krankenpflege, Management) aber auch in der Tagespresse in zunehmendem Masse thematisiert. Für die Psychotherapie, einem besonders sensiblen Bereich, der hier als stellvertretend für andere stehen soll, stellt sich natürlich auch die Frage:
"Was hat es (ihm) genützt?".
In der englischsprachigen Datei 'psycINFO' finden sich über 200 Arbeiten zum Thema Humor / Lachen in der Psychotherapie und die Tendenz ist steigend. (Grundlagenforschung ohne Bezug zur Psychotherapie und v.a. in den USA sich geradezu epidemisch ausbreiten-de Literatur und Zeischriften zum Thema Humor und Lachen im Spital nicht eingerechnet). Die Autoren befassen sich sowohl mit der physiologischen und emotionalen Wirkung des Lachens als auch mit der psychotherapeutischen Anwendung von Humor. Es finden sich viele Fallstudien mit unterschiedlichster Symptomatik, ein erfreulich breites Spektrum psychotherapeutischer Schulen, sowie ein weites Feld von Anwendungsmöglichkeiten. Die empirischen Studien beziehen sich v.a. auf die physiologische (messbare) Wirkung des Lachens.
Mit knapp 40 Veröffentlichungen zu diesem Thema (PSYNDEX) scheinen die deutschsprachigen Therapeuten den Humor nicht gerade für sich gepachtet zu haben, doch finden sich hier interessante Uebersichts- und Forschungsarbeiten:
So geben z.B. Titze, Eschenröder u. Salameh (1,2), wie auch Bernhardt (3) einen Ueberblick über die theoretischen Grundlagen, die philosophischen Wurzeln, die physiologische und die psychotherapeutische Wirksamkeit des Lachens und des Humors und untersuchen, welcher Stellenwert dem Humor innerhalb der bekanntesten Therapierichtungen zukommt. Heekerens (4) beschreibt den Stand der empirischen Arbeiten zum Thema Humor in der Psychotherapie und zeigt das therapeutische Potential des Humors aus konstruktivistischer Sicht. Bei Ruch (5,6) finden sich zahlreiche Uebersichtsarbeiten zur psychologischen Grundlagenforschung im Bereich Heiterkeit, Lachen und Humor, wie auch eigene Forschungsberichte. Ein wissenschaftliches Grundlagenwerk erscheint demnächst (7).
Aus therapeutischer Sicht lassen sich folgende Grundlagen zusammenfassen:
Das physiologische Potential
Lachen ist gesund ! Die noch relativ neue 'Gelotologie' (Lachforschung) weist nach, dass Humorreaktionen das Immunsystem beeinflussen, dass Lachen u.a. Schmerz reduzieren, Stressabbau, Durchblutung und Verdauung fördern, oder helfen kann, den Blutdruck zu senken. Die Ansätze und Ergebnisse in diesen Bereichen sind vielversprechend, eine Bestätigung der Befunde auf breiter Basis steht noch aus.
Siehe Berk (8,9), McGhee (10,11) u. Rubinstein (12).
Das psychologische Potential
Nach Salameh (1) lassen sich 3 Dimensionen der psychotherapeutischen Wirkung des Humors unterscheiden:
- emotional:
Humor löst Hemmungen, reaktiviert verdrängte Affekte, ermöglicht einen unmittelbaren und spontaneren Austausch menschlicher Gefühle und führt im therapeutischen Setting zu freizügiger Gleichwertigkeit.
- kognitiv:
Humor regt kreative Potentiale an, aktiviert Entscheidungsprozesse und Perspektivenwechsel, sensibilisiert für neuartige Zusammenhänge, fördert eine explorierende Haltung gegenüber scheinbar unumstösslichen Gegebenheiten und hilft, rigide Verhaltensmuster durch flexiblere zu ersetzen.
- kommunikativ:
Humor wirkt erfrischend, entspannend und anregend (evtl. auch originell), trägt zu einer freundlich konstruktiven Beziehung bei und festigt das Arbeitsbündnis. Humor reduziert "Erhabenheitsanansprüche" der TherapeutInnen, fördert ein Klima der Offenheit und Gleichwertigkeit und reduziert die Widerstandsbereitschaft der KlientInnen.
Die Anwendung
Während die Lachforschung messbare und meist eindeutige Ergebnisse vorweisen kann (inspiriert durch die vor etwa 30 Jahren Aufsehen erregende Selbstheilung des Norman Cousins (13), der durch eine gezielte, selbst erdachte Lachtherapie - er zog vom Spital ins Hotel und liess sich dort täglich stundenlang lustige Slapstick-Filme vorführen und witzige Bücher vorlesen - eine degenerative, als unheilbar geltende Entartung der Grundsubstanz des Knochengewebes, Spondylarthritis, überwand), wird dem Humor in der Psychotherapie gemäss ersten empirischen Untersuchungen (4) von Seiten der TherapeutInnen, wie auch der KlientInnen noch überwiegend mit grosser Skepsis oder gar Ablehnung begegnet. Lachen ist eindeutig gesund, kann gezielt - allein oder in der Gruppe - geübt (z.B. Bauchlachen) und angewendet werden - aber der Humor?! Bereits in seinen vielschichtigen Wurzeln und Absichten, interpretiert mittels kathartischen-, Ueberlegenheits-, Aggressions- und Inkongruenztheorien - vgl. Titze et al.(1) - ist er nicht eindeutig konstruktiv und heilsam. Humor kann sich u.a. in Sarkasmus oder Zynismus verwandeln und als demütigend und beschämend erlebt werden. Auf 'lustige Art' vom Therapeuten, Chef, Kollegen oder auch Ehepartner ausgelacht, degradiert oder ausgegrenzt zu werden ist keine Wachstum fördernde Perspektive.
Ich möchte mich daher in erster Linie auf die Frage konzentrieren, wie das psychologische Potential des Humors therapeutisch entwickelt und unter welchen Bedingungen es wirksam werden kann und anschliessend diskutieren, inwieweit diese Vorraussetzungen und Möglichkeiten auch für die bewusste Förderung und Anwendung von Humor als Präventiv - und/oder Bewältigungsstrategien in anderen Bereichen (z.B. Coaching, Pädagogik, Teamentwicklung) von Bedeutung sind.
Es wird erzählt, der deutsche Kaiser Willhelm habe auf einer seiner Reisen im Appenzell (ländlicher schweizer Kanton) Halt gemacht, da er auf den, weit über die Landesgrenzen hinaus bekannten, 'Witz' der dort lebenden Bauern neugierig war. Er liess nun einem der Bauern durch einen Diener ausrichten, seine Hoheit der Kaiser verlange eine Kostprobe dieses Humors. Der Appenzeller zuckte unbeeindruckt mit den Schultern und verschwand darauf in einer Scheune. Wenig später öffnete sich das Scheunentor und eine kleine Sau rannte mit einem Helm auf dem Kopf über den Platz. Eine grosse Sau jagte in einigem Abstand hinterher. Der Bauer gesellte sich schweigend zum Kaiser und seinem Diener, die das Schauspiel ungeduldig und eher verständnislos betrachteten. "Seine Hoheit wünscht eine Erklärung!", murrte der Diener. "Ganz einfach", erwiderte wortkarg der Appenzeller, "kleine Sau hat Helm - grosse Sau willHelm!".
Der psychotherapeutische Effekt dieser 'schweizer-deutschen' Intervention ist leider nicht überliefert, darf aber mit gutem Grund angezweifelt werden. Diese Geschichte illustriert jedoch sehr eindrücklich, wie Humor zur (therapeutischen) Keule werden kann, wenn die wichtigsten Grundbedingungen nicht erfüllt sind:
I. Zielsetzung
In der psychotherapeutischen Anwendung geht es nicht darum, KlientInnen mit Witzen und flapsigen Sprüchen zu unterhalten, sondern gemeinsam das psychologische Potential des Humors emotional, kognitiv und kommunikativ (siehe oben) zu entwickeln und für KlientIn und TherapeutIn nutzbar zu machen. Therapeutisch wirksamer Humor ist weniger eine 'nette' Eigenschaft oder lustig-listige Intervention, sondern vielmehr eine Fähigkeit, in kurzer Zeit Zugang zu Ressourcen und neuen Perspektiven zu finden:
Beispiel:
Ein 20-jähriger, differenziert und sehr sensibel wirkender Jugendlicher erschien zu einem Erstgespräch. Seine zwei übereinander getragenen, mit Nieten besetzten, schweren Lederjacken und die Cowboystiefel standen in starkem Gegensatz zu seinem feingliedrigen Körperbau und den etwas feminin wirkenden langen blonden Haaren. Er machte kein Hehl daraus, dass er von seiner Familie geschickt wurde und diese Stunde nur absitzen wollte, um seinen guten Willen unter Beweis zu stellen. Nachdem er mir seine derzeitige, im Moment für ihn verzweifelte Situation bezüglich Freundin und Ausbildung geschildert hatte, berichtete er mir über die akute Platzangst, die es ihm äusserst schwer mache, überhaupt noch seine Wohnung zu verlassen, geschweige denn einzukaufen oder auszugehen. Aus diesem Grund plante er auch, vorübergehend wieder bei seinen Eltern einzuziehen. Auf meine Frage, wie er denn gerne sein möchte, beschrieb er mir seine Wunschvorstellungen von totaler Unabhängigkeit und Ueberlegenheit. Inspiriert von seiner Kleidung erwähnte ich 'John Wayne'. "Nein, Clint Eastwood!", verbesserte er mich spontan. Ich befragte ihn näher zu konkreten Angstsituationen. Er schilderte mir seine Beklemmungen, v.a. die Vorstellung, im Gemischtwarenladen, den er regelmässig aufsuchte, von Uebelkeit befallen zu werden und schlimmstensfalls vor der Kasse erbrechen zu müssen. Ich fragte ihn, ob er sich schon einmal, vielleicht auch in der Oeffentlichkeit, habe übergeben müssen. Als er dies verneinte, malte ich ihm solche Szenen aus und beschrieb ihm, wie es platschen, triefen und riechen würde, wenn er nicht nur die Regale, sondern auch den Nacken des Vordermannes anpeilen würde. Seine Phantasien folgten meinen Beschreibungen und er signalisierte sowohl Abneigung als auch Neugierde. "Es gäbe da eine Möglichkeit", begann ich mich vorsichtig vorzutasten, während ich verschiedene Filmszenen mit Clint Eastwood erinnerte. "Stellen Sie sich vor, Sie hätten an drei aufeinanderfolgenden Tagen den Laden von oben bis unten vollgekotzt", führte ich weiter aus und beobachtete seine ambivalenten Reaktionen, "und nun kommen Sie wieder durch die Türe...Sie benötigen keinen Colt, alle Menschen halten den Atem an in Erinnerung an das letzte Mal...jeder drückt sich eng an die Wand..., an der Kasse lässt man Sie ehrfürchtig vor: 'bitte nach Ihnen', vielleicht will man nicht einmal Geld von Ihnen...!" Er folgt wie gebannt meinen zum Teil theatralisch ausgemalten Schilderungen und beginnt, mehr und mehr (schmunzelnd) Gefallen daran zu finden. Schliesslich erlaubt er sich, herzhaft zu lachen und wir schmücken diese Episode gemeinsam weiter aus. Am Ende dieser ersten Stunde entschied er sich für eine weitere, nicht sicher, "ob Sie eigentlich noch ein bisschen verrückter sind, als ich. "(wohlwollend lächelnd).
Nach der ersten Sitzung konnte sich dieser Klient wieder freier ausserhalb seiner Wohnung bewegen und einkaufen gehen. Die humorvollen Vorstellungen begleiteten ihn und verhinderten weitere panische Reaktionen. Die Therapie war damit nicht etwa beendet, aber nun konnte sie beginnen. Ich hatte 'einen Fuss in der Türe'!
Dies ist ein typisches Beispiel für die Entwicklung therapeutisch wirksamer, humorvoller Bilder und Phantasien innerhalb des Bezugsrahmens von KlientInnen. ('Inframing',14)
ll. Grundhaltung und Beziehung
Die Fähigkeit 'Humor' lässt sich zwar fördern, aber nicht fordern! Die von Carl Rogers (15) postulierten Therapeutenvariablen 'Empathie', 'Echtheit' und 'Wertschätzung' sind für die therapeutische Arbeit mit Humor geradezu unabdingbar. Nur eine wohlwollend gewährende Grundhaltung erlaubt es TherapeutInnen, im gemeinsamen Prozess konstruktiv humorvolle Bilder und Phantasien zu entwickeln. Entscheidend ist schliesslich die Qualität des Humors, denn viele KlientInnen sind durchaus in der Lage, sich selbst auf witzige Art abzuwerten oder zu verletzen. Diese Qualität kann nur durch die entsprechende Grundhaltung und das Beziehungsangebot der TherapeutInnen gewährleistet werden.
lll. Humor und Trance
Die Arbeit mit Humor induziert oft einen leichten Trancezustand (Hain,16), da verschiedene Ebenen (z.B. kognitive und emotionale) gleichzeitig angesprochen werden. Daher ist es für TherapeutInnen sehr wichtig, einerseits die Führung zu übernehmen, sich aber gleichzeitig von den - in erster Linie nonverbalen - Reaktionen und Hinweisreizen (minimal cues) der KlientInnen leiten zu lassen. Humorvolle Phantasien und Perspektiven entfalten gerade aufgrund dieses leichten Trancezustandes eine nachhaltige therapeutische Wirkung (siehe Beispiel).
Humorvolle Interventionen können beim Gegenüber auch eine spontane, subjektiv als leichte Verwirrung erlebte, "Konfusions-Trance" erzeugen, die - eingebettet in einer wohlwollend wertschätzenden Beziehung (s.oben) - Widerstand reduziert, eingefahrene Denkmuster unterbricht und somit Raum für neue Perspektiven sowie Denk - und Handlungsmöglichkeiten eröffnet.
lV. Integration und persönlicher Stil
Therapeutische Arbeit mit Humor setzt die (Selbst-) Erfahrung und Bereitschaft voraus, auch die eigene Rolle und Position aus humorvoll wohlwollender Distanz beleuchten und z.B. in Gegenwart der KlientInnen relativieren zu können. Humorvolle Aeusserungen wirken nur dann glaubhaft, wenn sie den eigenen therapeutischen Stil (v.a. nonverbal) ergänzen und nicht sabotieren. Eine transparente Inkongruenz zwischen verbalen Aeusserungen und nonverbaler Empathie erweitert die therapeutische Handlungsfreiheit, ohne die Variablen 'Echtheit' und 'Wertschätzung' zu unterlaufen (In der 'Provocative Therapy' nach F.Farrelly (17,18,19) wird gerade diese 'Inkongruenz' konsequent genützt, um auch KlientInnen mit schwerer Symptomatik aus ihrer Problemhaltung hinauszu(be)fördern). Durch diese Art der Kennzeichnung wird es möglich, die Rolle des Clowns, Hofnarren oder Advocatus Diaboli (Provocative Therapy) ohne Einbusse an natürlicher Autorität oder Respekt mit der TherapeutInnenrolle und dem eigenen Stil zu integrieren. Ist dies aus Gründen des Arbeitsfeldes, des therapeutischen Ansatzes oder des persönlichen Stils nicht möglich, so kann, wie z.B. in Spitälern (Clinic Clowns) oder auch psychotherapeutischen Ansätzen (Titze,20), die explizit mit Humor arbeiten, die "Humorrolle" durch den Beizug eines oder mehrerer Clowns personell klar abgegrenzt werden, um etwa die Autorität bzw. Seriosität des Arztes oder Therapeuten, sowie die Kontinuität der Behandlung nicht in Frage zu stellen.
Diskussion
Es ist sehr erfreulich, dass Lachen und Humor in der psychotherapeutischen Fachliteratur zunehmend an Bedeutung gewinnen und aus ihrem Dornröschenschlaf erweckt werden. Obwohl bereits Freud, Adler, Erickson und v.a. Frankl dem Humor eine therapeutische Wirkung attestierten, blieb er stets ein bestenfalls angenehmer Nebeneffekt, oder wurde höchstens (als Lektüre) bis ins Wartezimmer der Psychotherapie vorgelassen. Farrelly andererseits entdeckte schon in den 60-er Jahren, wieviel mehr an Herausforderung KlientInnen zugemutet werden kann, wenn es humorvoll geschieht. Dass der Humor noch nicht den Stellenwert bei PsychotherapeutInnen einnimmt, der seinem Potential entspricht, liegt nicht zuletzt an seiner Vielschichtigkeit und der damit verbundenen Verletzungsgefahr.
Darüber hinaus lassen sich aber auch deutliche kulturelle Unterschiede in Handhabung und Anwendung erkennen. Während sich in den USA bereits eine Art "Humorindustrie" (mit leider auch ihrerseits typischen Auswüchsen) vor allem im Bereich Spital- und Kranken-pflege entwickelt hat und einige Organisations- und Management Beraterfirmen voll auf Lach- und Humormanagement setzen (vgl. Weinstein,21), oder in Indien auf die Initiative eines Arztes inzwischen über 150 Lachklubs von regelmässig aktiv praktizierenden TeilnehmerInnen gegründet wurden, scheinen Lachen und Humor in unseren Breitegraden noch wenig mit Professionalität, effizienter Arbeit und Seriosität vereinbar zu sein - die Psychotherapie bildet da keine Ausnahme.
Meine persönlichen Erfahrungen der letzten 12 Jahre zeigen aber, dass KlientInnen und TherapeutInnen enorm profitieren können, wenn sie es sich, unter Beachtung der beschriebenen Grundbedingungen, erlauben, humorvolle Perspektiven zu entwickeln. TherapeutInnen, die mit Humor arbeiten möchten, sollten jedoch zunächst bei sich selbst beginnen, diese heilsame Kraft zu erfahren und erst dann in ihr therapeutisches Handeln integrieren.
Humor als Fähigkeit...
Stand bei meinen bisherigen Ausführungen der von TherapeutInnen initiierte und gemeinsam mit den KlientInnen entwickelte Humor als gezielte und hilfreiche Intervention im Vordergrund, so möchte ich weiter hervorheben, dass Humor - unabhängig von Therapie oder Beratung - heute als lernbare Fähigkeit betrachtet werden muss. Eine Fähigkeit, deren Bedeutung in den Bereichen 'coping strategy', Psychohygiene und Prophylaxe nicht länger unterschätzt werden sollte. Rufen wir uns sein psychologisches Potential und die Wirkung humorvoller Bilder und Phantasien in Erinnerung (so absurd z.B. Münchhausens Versuch, sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen zu wollen auch anmuten mag, eine absichtlich oder spontan entwickelte humorvolle Phantasie kann unter Umständen diese befreiende Wirkung haben), so wäre es geradezu leichtfertig, die Förderung von Humor auf Beratung, Therapie oder Krankenpflege beschränken zu wollen.
Bleibt die Frage: Humor lernen - aber wie ?
Da der Humor meist noch für eine Eigenschaft ("die einen haben ihn, die anderen nicht") gehalten wird, erscheinen spezielle Programme für Humorentwicklung und -training, wie sie u.a. von McGhee (11) oder Weinstein (21) entwickelt wurden, vielen Menschen spontan als künstlich oder gar lächerlich.
Dieses Lernen muss also zuerst in unseren Köpfen beginnen.
Der international bekannte Schweizer Pantomime und Clown Dimitri (22) spricht von der "Philosophie des Lachens", deren Charakteristik darin beruht "mich selber nicht so ernst zu nehmen "(S.23). "Ueber sich selber lachen zu können, ist eine Art Selbstkritik. Indem ich über mich selber lache, stehe ich über der Situation, bin bewusst oder unbewusst darüber erhaben" (S.22). Für ihn ist der Humor ein Talent, das es bei sich selbst zu entdecken und fördern gilt: "ich glaube, jeder kann den Humor 'lernen', ihn zu einer Lebenshaltung werden zu lassen. Für mich ist er sogar noch mehr: er ist eine Philosophie - eine Philosophie des Lachens."
Für den 'Hausgebrauch' ist es nicht unbedingt nötig, zum Philosophen zu werden, doch kennzeichnen Dimitri's Worte vieles, was den Humor erst heilsam und zur Fähigkeit werden lässt. Als ebenso wichtig erachte ich die Erfahrung, dass man Humor weder 'haben', 'besitzen' noch 'festhalten' kann, er aber dafür um so leichter 'abhanden kommt' oder gänzlich zu 'fehlen' scheint.
Humor wird also nur dann zur lernbaren Fähigkeit, wenn er bewusst und ernsthaft gefördert und täglich von neuem entwickelt wird.
...und als soziale Kompetenz
Wie am Beispiel Psychotherapie exemplarisch illustriert, ist es für die professionelle Anwendung von Humor unerlässlich, Potential, Anwendungsbereiche und Grundbedingungen zu erarbeiten. Während sich die Zielsetzung in anderen Anwendungsbereichen, wie z.B. Pflege, Pädagogik, Management, unterscheiden kann, sind die übrigen Grundbedingungen (z.B. Grundhaltung) durchaus übertragbar. Wird der Humor nicht mehr als gegebene Eigenschaft, sondern - neben seinen spezifisch therapeutischen Möglichkeiten - vor allem als Beziehungsvariable (vgl. das emotionale und kommunikative Potential) erkannt und gezielt genutzt, wird er zur sozialen Kompetenz. Eine bewusste Absicht, Erfahrung und angemessene Zielsetzung vorausgesetzt, kann wohlwollender Humor gerade "hierarchisch" professionelle Beziehungen (AerztIn-PatientIn, TherapeutIn-KlientIn, LehrerIn-SchülerIn, PflegerIn-PatientIn, ErzieherIn-Kind/Jugendliche/r etc.) beschleunigen, vertiefen und dauerhaft tragfähiger werden lassen. In Institutionen kann er so zu einer präventiven 'Kultur' der Psychohygiene entwickelt werden, doch ist auch hier einiges an Vorarbeit zu leisten. Dass sich dieser Aufwand lohnt, sei es im klinischen, sozialen oder wirtschaftlichen Bereich, zeigen die Beiträge erfahrener und renommierter Fachleute an den seit 1996 durchgeführten "Humor" - Kongressen in Basel (23) und Arosa (24) auf eindrückliche Art und Weise. Das wachsende Interesse vonseiten der TeilnehmerInnen und der Oeffentlichkeit verdeutlicht das vorhandene Bedürfnis und gibt eine ermutigende Perspektive.
Wer zuletzt lacht, hat schon viel verpasst!
Literatur
(1) Titze, M., Eschenröder, C., Salameh, W., (1994). Therapeutischer Humor - ein Ueberblick. In: Integrative Therapie 3/1994, S. 200 - 234.
(2) Titze, M., Eschenröder, C,. (1998). Therapeutischer Humor - Grundlagen und Anwendung. Frankfurt: Fischer.
(3) Bernhardt, J.A., (1985). Humor in der Psychotherapie. Weinheim: Beltz.
(4) Heekerens, H-P., (1992). Humor in der Familientherapie - zum Stand der Diskussion. In: Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie, 1992, 41 (1), 25 -30.
(5) Ruch, W., (1993). Die Emotion Erheiterung: eine Uebersicht über den Forschungsbereich. In: Montada, L. (Hrsg.), Bericht über den 38.Kongress der DGfP in Trier 1992. Göttingen: Hogrefe, 277-285.
(6) Ruch, W., (1995). "Sinn für Humor" als Persönlichkeitsmerkmal: vergessen, fehlkonstruiert neukonzipiert. In: Pawlik, K.(Hrsg.). Bericht über den 39. Kongress der DGfP in Hamburg 1994. Göttingen: Hogrefe, 689-694.
(7) Ruch, W., (1998). "The sense of humor". Berlin: Mouton de Gruyter
(8) Berk, L., et al. (1989). Neuroendocrine and stress hormon changes during mirthful laughter. American Journal of the Medical Sciences, 1989, 298, 390-396.
(9) Berk, L., & Tan, S., (1996). A positive emotion, the eustress of mirthful laughter, modulates the immune system lymphokine interferongamma. Psychoneuroimmunology Research Society Annual Meetings, Abstract Supplement, April 17-20, 1996, A.1.- A.4.
(10) McGhee,P.E., (1991). The Laughter Remedy. Randolph, N.Y.: Selbstverlag.
(11) McGhee, P.E., (1996). Health, Healing and the Amuse System.Humor as Survival Training. Dubuque, Iowa: Kendall/Hunt Publ. Company.
(12) Rubinstein, H., (1985). Die Heilkraft Lachen. Bern: Hallwag.
(13) Cousins, N., (1996). Der Arzt in uns selbst. Wie Sie Ihre Selbstheilungskräfte aktivieren können. Reinbek: Rowohlt (Taschenbuch).
(14) Hain, P., (1993). Inframing - Bitte einsteigen.....und die Türen öffnen! In: Mrochen,S., et al. (Hrsg.), Die Pupille des Bettnässers. Heidelberg: Carl Auer.
(15) Rogers, C., (1973). Die klientbezogene Gesprächspsychotherapie. München: Kindler.
(16) Hain, P., (1998). Humor und Hypnotherapie. In: Revenstorf,D.& Peter,B. (Hrsg,1998). Hypnose in Psychotherapie und Psychosomatik. Ein Manual für die Praxis. In Vorbereitung.
(17) Farrelly, F., Brandsma, J., (1985). Provokative Therapie. Berlin: Springer.
(18) Höfner, E., Schachtner H.U., (1995). Das wäre doch gelacht. Reinbek: Rowohlt.
(19) Wippich, J. (1996). Lachen lernen. Einf. in die Provokative Therapie Frank Farrellys. Paderborn: Junfermann.
(20) Titze, M., (1995). Die heilende Kraft des Lachens. Frühe Beschämungen mit therap. Humor heilen. München: Kösel.
(21) Weinstein, M. (1996). Lachen ist gesund - auch für ein Unternehmen: Lach- statt Krachmanagement. Wien: Ueberreuter.
(22) Dimitri. (1995). Humor. Gespräche über die Komik, das Lachen und den Narren. Dornach: Verlag am Goetheanum.
(23) Titze, M., Hain, P., (1996 - 1998). Wissenschaftliche Leitung der Basler "Humor i.d.Therapie"- Kongresse (96, 97, 98) Info: Messe Basel.
(24) Hain, P., Titze, M., (1996 - 1998) Wissenschaftliche Leitung der Aroser "Heilkraft Humor" Kongresse (96, 98) Info: Arosa Tourismus.
Peter Hain Dr.phil. klin. Psychologe FSP, Psychotherapeut FSP u. SPV, Stauffacherstr. 149, 8004 Zürich
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