Das Umschlagbild zeigt eine geniale und köstliche Karikatur von Paul Peter Porges: »Dr. Sigmund Freud in Amerika kostet seinen ersten Banana Split.«
Karl Fallend nahm den 100. Geburtstag von Sigmund Freuds genialer Schrift »Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten« (1905) zum Anlass - Freud war damals 50 Jahre alt - das vorliegende Buch über Witz und Psychoanalyse zu veröffentlichen. Nicht nur für die Entwicklung der Psychoanalyse war 1905 ein denkwürdiges und keineswegs witzloses Jahr: Berta von Suttner erhielt den Friedensnobelpreis, Picasso malte »Die Gauklerfamilie mit dem Affen«, Christian Morgenstern veröffentlichte »Die Galgenlieder« und Albert Einstein die Spezielle Relativitätstheorie.
Die Psychoanalyse ist sicher keine lustige Wissenschaft, aber sie setzt sich oft allzu ernsthaft mit unseren versteckten Lüsten auseinander. Freud hat es erkannt: »Witze, die im Volk umlaufen« sind »vortreffliche Hilfsmittel zur Erforschung des unbewussten Seelenlebens«, aber sie finden bis heute nicht die Beachtung, die sie verdienen. Im ersten Jahr wurden von Freuds Witzanalyse nur 320, im zweiten Jahr 121 Stück verkauft. Ja bis heute scheuen sich viele Psychoanalytiker davor, sich mit diesem genialen und geistreichen Werk, das auch ein »essentielles Stück Sozialpsychologie« enthält, auseinanderzusetzen. Ernest Jones hat zu Recht gemeint, dass dieses Buch deshalb am wenigsten gelesen wird, »weil es am schwersten ist, es richtig zu verstehen«. (S. 7.)
Karl Fallend nahm diese Fakten zum Anlass, im Blick auf das »Freud-Jahr 2006«, psychoanalytische Institutionen in Europa, Amerika, Afrika und Asien anzuschreiben. Er ersuchte darum, die Pionierarbeit von Freud noch einmal mit Muße zu lesen und die Witzkultur im eigenen Land und in der psychoanalytischen Alltagswelt zu beleuchten. Aus diesen Berichten entstand dieses anregende und vielschichtige Buch.
Peter Schneider, Psychoanalytiker in Bremen, beleuchtet in seinem nuancenreichen, anspruchsvollen und hervorragenden Beitrag die essentielle Beziehung des Witzes zur Psychoanalyse. Er beschreibt das heterogene Zusammenspiel von Freuds drei grundlegenden Schriften, die fast gleichzeitig entstanden sind: »Die Traumdeutung«, die »Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie« und »Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten«. Diese Schriften haben Verblüffung, Erleuchtung und Verwirrung ausgelöst, weil sie sich zwischen Trieb und Geist abspielen.
Ebenso wie die Sprache und der Witz ist der Trieb ein »Austauschprodukt«. Und der Witz als mitteilungssüchtiger »doppelzüngiger Schelm«(Sigmund Freud) ist ein zutiefst soziales, Spannung und Entspannung bewirkendes »Bindungs-Entbindungsspiel«. (S. 22) Im Witz kommt der vernünftige Zweifel an der Vernunft selbst (Immanuel Kant) zum Ausdruck. Er schützt die Vernunft vor ihrer Verhärtung gegenüber sich selbst, indem er im Spiel von Sinn, Unsinn und Tiefsinn die Karten neu mischt und dafür sorgt, dass die Vernunft nicht witzlos wird. Ludwig Wittgenstein hat diese Dialektik genial zur Sprache gebracht: »Wenn die Menschen nicht manchmal Dummheiten machten, geschähe überhaupt nichts Gescheites«.
Charles Levin, Psychoanalytiker in Montreal, fragt sich, warum Freuds Witzstudie offensichtlich mehr beunruhigt als seine anderen Werke. Er sieht in ihr den Ursprung der psychoanalytischen Ideen. Denn Freuds wissenschaftlicher Geist ist mit einem tiefen Sinn für Humor und Ironie verbunden: »Die frivole Leichtigkeit des Komischen war etwas, das ihn daran gemahnen konnte, wie tief wir mit uns selbst in Zwietracht stehen«. (S. 28) Die Grobheit der Sexualität, der Skandal menschlicher Aggressivität sind keine schmeichelhafte Botschaft für unser geschöntes Selbstbild. Freuds ernüchternde Einsichten in die Ökonomie der psychischen Kräfte zwingen uns »unserem eigenem Ressentiment ins Auge zu blicken«. Die Fähigkeit zum Spiel ist die Basis für Kultur, Humor und Witz. Humor ist einerseits Ausdruck unserer Unfähigkeit zur geforderten Anpassung, anderseits hilft er uns, emotionalen Katastrophen auszuweichen und Idealisierungen in ihrer triebhaften Destruktivität zu entschärfen.
Der Soziologe Helmut Dahmer (Wien) hat einen engagierten sozialwissenschaftlichen Beitrag mit dem Titel »Der Witz der Sache« verfasst. Im Dilemma zwischen Anpassung und Befreiung von institutionalisierten und deshalb internalisierten Zwängen ist der Witz »die kleinste der uns möglichen Emanzipationen« (S. 40) Denn der Witz ist ein Attentat auf Konventionen. Nach Freud dient er der »Auflehnung gegen den Denk- und Realitätszwang«. Er schlägt Breschen in die Mauer der sozialen und ideologischen Zwänge. Machthaber fürchten das befreiende Lachen des Witzes, weil es Herrschaft untergräbt und relativiert.
Ausführlich schildert Dahmer das journalistische und hochpolitische Engagement von Karl Radek, einem seltsamen Revolutionär unter den Bolschewisten, der mit Witz und Galgenhumor unterwegs war und dem der Schalk im Nacken saß. Dieser »Witzemacher entwickelte sich in den gefährlichen dreißiger Jahren zu einem Meister der Zweideutigkeit, des Fabulierens und der Groteske«. (S. 45) Er arbeitete zuerst mit Rosa Luxemburg, dann mit Lenin und Trotzki, später auch mit Stalin zusammen, der ihn 1939 ermorden ließ.
Der Psychiater und Psychoanalytiker Zvi Lothane (New York) beleuchtet in sehr differenzierter und anregender Weise den Nutzen von Humor in Leben, Neurose und Psychotherapie. Freuds Witzstudie bezeichnet er als »revolutionäre Schrift« die von vielen Psychoanalytikern offenbar nicht verstanden wird. Er durchstreift die Lebensweisheit der Schriftsteller von der Antike an, die das Leben mit allen Konflikten und Enttäuschungen als Tragödie und Komödie auffassen. Arthur Koestler sieht im Humor, in der wissenschaftlichen Entdeckung und in der Kunst drei grundlegende kreative Prozesse, die das Leben bereichern. Alle kreativen und befreienden Prozesse entstehen im Kontakt mit dem Unbewussten, dem Infantilen. Auch der Witz ist nach Freud ein kreativer »Einfall«. Freuds oft verdrängte Einsicht, dass die »Individualpsychologie zugleich auch Sozialpsychologie« ist, äußerst sich auch darin, dass Träume, Symptome, Humor und Witz als soziale Phänomene verstanden werden müssen.
Humor ist für Lebenskunst und Psychoanalyse von sehr großem Nutzen. Wenn nämlich Verdrängtes, Tabuisiertes aus dem Unbewussten auftaucht, führt dies regelmäßig zu einem »erkennenden Lachen« (S. 76), zur Lockerung von Symptomen und zur Stärkung des Ichs. Und diese Einsicht von Freud wurde durch Theodor Reik noch vertieft: Er spricht von einer Analogie zwischen analytischer Deutung und dem Witz. Oft ist der Witz eine freie, befreiende Assoziation, und echter Humor lässt auch angesichts widerlicher und schmerzhafter Realität noch unter Tränen lächeln.
Der Sozialpsychologe und Experte für eine genuine Psychoanalyse ohne methodistisches und individualistisches Selbstmissverständnis, Karl Fallend, beleuchtet den in Österreich immer noch untergründig vorhandenen und nationalsozialistisch eingefärbten Antisemitismus, der verkleidet und scheinbar harmlos in der Witzkultur als Massenphänomen weiterlebt. Fallend schildert, wie er durch biografische Interviews über Aspekte der Nazizeit in die braune Geschichte seiner Heimatstadt Linz mit großem Unbehagen eingetaucht ist. In der Alltagssprache, besonders in der Witzkultur und in den Familiengeschichten, offenbart sich weithin die Unfähigkeit zur Trauer. Antisemitische Tendenzen und nationalsozialistische Werthaltungen und Idealisierungen sind untergründig weit verbreitet, ganz besonders in der Witzkultur.
Diese Erfahrung war für Fallend der Anlass, Seminare zur »Sozialpsychologie von Witz und Humor« durchzuführen und Studierende zu entsprechenden Recherchen zu veranlassen. (106) Selbst in der Praxis von Psychoanalytikern wurden antisemitische Witze erzählt, begleitet von Gedankenlosigkeit. Fallend führt viele verbreitete und makabre antisemitische Witze an, die »harmlos« erzählt werden und Anerkennung finden. Freuds Definition des Unheimlichen enthüllt den motivierenden Hintergrund dieser makabren Witzlandschaft: »Unheimlich sei alles, was ein Geheimnis betrifft, was im Verborgenen bleiben sollte und hervorgetreten ist«. (114).Die Verharmlosung, dass es sich doch »nur um Witze« handle, enthüllt die unbedachte und tiefer liegende gefährliche Tendenz: »Die Kinder setzen mit Gespür fort, was spürbar fortgesetzt werden soll«.
Die Ethno-Linguistin und Gender-Forscherin Helga Kotthoff behandelt ausführlich und kritisch »Freud und seinen weiblichen Witz«. Im Bewusstsein, dass Humor und Witz äußerst vielschichtige Phänomene sind, betrachtet sie diese unter sozialkonstruktivistischer Perspektive. Freuds Analyse des weiblichen Wesens berücksichtigt in ihrer patriarchalischen Verengung kaum soziologische Parameter. Freud »essentialisiert die Geschlechterordnung« und »anthropologisiert historische Erscheinungsformen der Geschlechterpolitik« (S. 160ff.)
In der Beschreibung des Zusammenhanges von Scherzkommunikation und gender hebt Kotthoff vier Aspekte hervor, die unterschiedlich zugeschrieben werden und sich auch entsprechend ausgewirkt haben: den Status, die Aggressivität, die soziale Verbundenheit und Sexualität / Körperlichkeit. Frauen wird ein geringerer Status zugeschrieben, ihre Aggressivität wird weithin unterdrückt, die Pflege der sozialen Verbundenheit wird ihnen besonders anvertraut und bezüglich Körperlichkeit und Sexualität müssen sie zurückhaltend und »damenhaft« sein. Deshalb waren Frauen Jahrhunderte lang fast nur Objekte aggressiver männlicher Scherzkommunikation. Die Möglichkeit, im Witz Spannungen abzubauen, war ihnen nur im engen privaten Bereich möglich. Aber seit gut einem Jahrzehnt wächst die Tendenz zur Gleichberechtigung auch in der Witzkultur und zaghaft auch im Kabarett und in der TV-Komik.
Dass es in Japan eine ganz andere Art von Komikkultur gibt als in unseren Breiten, schildert der Schriftsteller und Germanist Leopold Federmair. Japaner ordnen sich in alle vorgegebenen Strukturen restlos ein und wenn Spaß angesagt ist, lassen sie sich ungehemmt gehen und werfen »das Häutchen der Zivilisation« im Nu ab (S. 149) So gibt es besonders viele Tabuzonen und das starke Bedürfnis nach Harmonie und Trost erlaubt es nicht, massive Aggression im Witz zu äußern. Deshalb findet man dort kaum die bei uns verbreiteten aggressiven und obszönen Witze. Die japanische Sprache ist sehr vielschichtig und erlaubt viele eher harmlose Wortspiele, die dann Gelächter auslösen. Japan war nie ein revolutionäres Land und hat wohl auch deshalb wenig Sinn für starken Witz. Lacan hat die Japaner als »nicht analysierbar« bezeichnet. (S. 157) Sowohl der Witz als auch die Psychoanalyse haben in Japan wenig Entfaltungsmöglichkeiten.
Auf die weiteren Beiträge mit sehr unterschiedlicher Differenziertheit und vielen narrativen Elementen werde ich nur kurz eingehen. Sie veranschaulichen die Anwendung der psychoanalytischen Sichtweise auf witzige Geschichten und Witze in verschiedenen soziokulturellen Kontexten, ergeben aber kaum neue Aspekte der psychoanalytischen Witztheorie und ihrer Relevanz für die Praxis individueller und kultureller Analyse.
Aufschlussreiches über die mexikanische Witzkultur berichtet der Psychoanalytiker Bernhard Seubert, der in Oaxaca/Mexico an der Universität lehrt. Die Komplexität der mexikanischen Identität ergibt sich aus der Unvereinbarkeit und Verschmelzung von Indio-Kultur und spanischer Kolonial-Kultur. Der Machismus überspielt ein spezifisches Minderwertigkeitsgefühl ebenso wie eine Furcht vor den Frauen. (S. 138) Besonders verbreitet sind politische Witze und solche über die katholische Obrigkeit, die den Indios ihre Religion und Sexualhemmung auferlegt hat. Daher sind zwei weitere Witzthemen häufig zu finden, nämlich die fast unerträgliche Bürde des Ehelebens und die männliche Homosexualität.
Die Literaturwissenschafterin Irmgard Gephart versucht, eine mittelalterliche Schwankerzählung und ihre komische Wirkung psychoanalytisch zu beleuchten. Auch darin zeigt sich, dass der Widerspruch zwischen Trieb- und Kulturanspruch beliebte Lachanlässe liefert. Gerhard Kubik, Kulturanthropologe und Feldforscher in Afrika, beschreibt die Zeit- und Subjektgebundenheit gewisser Witze anhand eines aktuellen Witzes über Kardinal Hermann Groer aus den neunziger Jahren. Dieser hochrangige Wiener Kirchenmann scheiterte, weil er offensichtlich pädophile homosexuelle Tendenzen nicht im Griff hatte. Entsprechende Witze bewirken vielfältiges Gelächter.
Der Kulturanthropologe Moya Aliya Malamusi berichtet komische, lehrreiche und lachhafte Kurzgeschichten aus seiner Heimat Malawi. Diese spezifische Form von Oralliteratur erzeugt herzhaftes und oft boshaftes Lachen nach dem Motto: Wer den Schaden hat, hat auch den Spott. Hans Füchtner, Wiener Sozialpsychologe mit häufigen Aufenthalten in Rio de Janeiro, erzählt, wie er in einer Runde von brasilianischen Psychoanalytikern einen Witz erzählt. Und er analysiert dann, warum dieser Witz nicht zünden konnte.
Die Psychoanalytikerin Doris Hajer (Uruguay) betrachtet kurz aus feministischer Sicht Freuds »Witz und seine Beziehung zur &Mac226;Methodenverherrlichung'«. Die Lektüre dieses Werkes fand sie »langweilig«, weil sie über die patriarchalische Tendenz gestolpert ist. Sie setzt das Unbewusste deshalb mit Methodenverherrlichung gleich und meint, dass die Psychoanalyse in wichtigen Aspekten einer radikalen Veränderung bedürfte. Eine Forschergruppe aus Buenos Aires hat vier kurze Artikel zu Freuds Witzstudie beigetragen.
Paul Parin betrachtet das seltene Thema »Witz und Lachen in der Technik der Psychoanalyse«. Er berichtet von Witzen auf der Couch und bedenkt die ambivalente Bedeutung des damit verbundenen Lachens. In einem längeren Fallbeispiel analysiert er eine aufschlussreiche Witzerzählung nach dem Muster der Traumdeutung. Erfrischend humorvoll ist der abschließende Beitrag des Wiener Psychoanalytikers Josef Shaked. Er beschreibt anschaulich und beispielsreich den produktiven Einsatz von Witz und Humor in der Gruppenpsychoanalyse, ohne die mögliche Problematik auszublenden. Besonders hilfreich für den Prozess der Gruppenanalyse können Witz und Humor in der Großgruppenanalyse sein, was Shaked gewitzt und sehr lebendig darstellt.
Insgesamt wünsche ich diesem wichtigen und anregungsreichen Buch vor allem viele Psychoanalytikerinnen und Psychoanalytiker als Leser. Denn es ist sehr bedauerlich und für Theorie und Praxis der Psychoanalyse auch sehr problematisch, dass die grundlegende Bedeutung von Witz und Humor, Lachen und Freude für den Prozess der Analyse und die Kunst, das eigene Leben im Kontext der jeweiligen Kultur gut und soweit möglich autonom zu gestalten, viel zu wenig wahrgenommen, beachtet und geachtet wird.
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