Die Glossen von...

Robert Stalder


Es weihnachtet sehr.

Im Restaurant.
Law and order.
Wie verhalte ich mich im Gespräch?


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Robert Stalder: Am 27. Juni 1940 erblickte die Welt mein Irrlicht. Dann war ich ein paar Jahre Primarlehrer. Seit 1964 bin ich in der Werbung tätig. 2 Kinder, 1 Fernseher. Humorlos, da der Meinung, ein Château Figeac mit ein bisschen Gänseleber sei besser und folglich Lachen nur die zweitbeste Medizin.


Es weihnachtet sehr.

Der Herr, der die fast leere Bar betritt, ist mittelgross, mittelteuer gekleidet, die Haare gewaschen, sorgfältig gekämmt, und er weiss nicht genau, wie er das kleine Herrenhandtäschchen tragen soll: verschämt oder betont lässig - so, als hätte er gar keines bei sich? Er bleibt mitten im Raum stehen und betrachtet interessiert die zwei Räume und die Bilder an den Wänden. Er sieht aus wie einer, der zum ersten Mal in dieser Bar steht - sie ist ihm wohl empfohlen worden. Nach einer gewissen Zeit tut er so, als inspiziere er die Bar, er wirkt wirklich wie ein möglicher Käufer. Die Bedienung: Möchten Sie sich setzen? Nein, er will sich nicht setzen, es kommen noch zwölf Leute. Haben Sie reserviert? Ja. Ah, da hinten, Sie können sich schon hinsetzen. Neinnein, ich warte. Er hat nun praktisch alles inspiziert, man weiss nicht, ob ihm das alles gefällt (mal etwas anderes) oder ob er denkt, muss der Apéro gerade hier sein? Ist es irgenwie zu intim hier? Oder gar zu unpersönlich? Jetzt fühlt er sich inspiziert. Was macht der da?, sagen die Blicke von der Bar. Vierzig Sekunden können in so einer Situation ziemlich lang sein. Will er sich nicht setzen, weil er nicht der Einladende ist oder gerade deshalb nicht, weil er der Einladende ist? Endlich kommen zwei jüngere Frauen, die er, offenbar, weil er nicht damit gerechnet hat, dass die Sekretärinnen zuerst kommen, übertrieben herzlich begrüsst, vor allem, wenn man bedenkt, dass er sie Frau Maurer und Frau Bigler nennt. Umständliche Versuche, aus dem Mantel zu helfen, respektive, sich nicht aus dem Mantel helfen zu lassen. Dann kommen weitere. Händedruck oder kein Händedruck. (Man hat sich heute noch nicht, respektive man hat sich heute schon gesehen). Endlich kommt der Abteilungsleiter oder zumindest der Entscheidungsträger, der zwischen jovial und verlegen sagen kann: Setzen wir uns doch. Neun Männer und vier Frauen, verschiedene Hierarchiestufen, es gibt ein kleines Durcheinander beim Platznehmen, wahrscheinlich versuchen alle, neben jemanden sitzen zu kommen, mit dem sie etwas reden können. Orangensaft (nicht gleich mit Alkohol anfangen!), Mineral, Cynar, Weisswein, und zwei, die es entweder nicht lassen können oder die keine besonderen Probleme haben, Gin Tonic. Es ist still am Tisch, es sind alle froh über das Bedienungszeremoniell. Man blickt sich verstohlen im Raum um. Mal etwas anderes. Nach etwa 20 Minuten lockert der Entscheidungsträger mit einem Scherz die Stimmung. Erste erlöste, dünne Lacher. Mit der Zeit etwas dickere. Dann bezahlt der gut gekämmte Herr, bevor die anderen aufgestanden sind, an der Bar diskret mit einer goldenen Kreditkarte. Lesebrille für den Trinkgeld-Eintrag. Sorgfältiges Falten des Belegs. Ueberspringen wir das Abteilungs-Weihnachtsessen (Privatbank oder Spedition?) und wenden wir uns einer völlig anderen Bar zu, die nicht sehr weit von der Apéro-Bar entfernt liegt: Der Mittelgrosse mit den jetzt nicht mehr so gut gekämmten Haaren ist jetzt so nahe an einer Mitarbeiterin, dass die Lesebrille eine Obszönität wäre, der Abteilungsleiter oder Entscheidungsträger bestellt an der Bar diskret noch eine Runde für den Ecktisch (sieben Leute) - niemand sieht, dass er dabei der Barmaid in den Nacken beisst. Die guten Vorsätze (Orangensaft!) sind vergessen.

Die guten Umsätze macht man aber nächstes Jahr wieder. Das haben sich alle vor zwei Stunden versprochen. Es braucht jetzt den Einsatz aller.

Vor allem auch heute abend.

PS: Bei sieben: Fast aller.

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Im Restaurant.

Ein Basler: Was machen Sie hier? Sie sind ja fremd hier, Sie haben ja einen Stadtplan bei sich.

Eine Deutsche: Ich war in der Schule für Gestaltung. Wegen einer Ausstellung.

B: Wegen einer Ausstellung oder an einer Ausstellung?

D: An.

B: Wo war die?

D: Gleich um die Ecke.

B: Wo?

D: Vogelsangerstrasse.

B: Ich weiss nicht, wo die ist. Normalerweise kenne ich die Strassen hier im Quartier. Basel ist ja klein, an und für sich. Ich müsste die ja kennen. Hausi, du bist doch schon 40 Jahre in Basel. Wo ist die Vogelsangerstrasse?

H: Weiss auch nicht genau.

B: Sehen Sie, der ist 40 Jahre in Basel, an und für sich müsste er die Strasse kennen. Aber er kennt sie auch nicht. Schule für Gestaltung sagt mir etwas, aber Vogelsangerstrasse sagt mir jetzt gar nichts.

D: Es ist gleich um die Ecke.

B: Heute ist ja Muttertag. Haben sie schon etwas bekommen?

D: Ja, gestern. Oder war es vorgestern?

B: Eine Karte oder Blumen oder Parfum?

D: Nein, etwas anderes.

B: Was hat denn die Tochter geschickt?

D: Ich habe nur einen Sohn.

B: Aha, studiert der?

D: Nein, er ist in der Vorbereitung auf das Studium.

B: Was will er studieren, Arzt oder so?

D: Nein, etwas Technisches.

B: Das ist gut, Technik hat Zukunft. Aerzte und Zahnärzte gibt es ja genug. Der Bruder meiner Freundin ist Zahnarzt, der ist auf das Land gezogen. Der bekommt manchmal eine halbe Sau als Honorar. Aber das geht ja nicht, er kann ja seine Gehilfin nicht in Koteletts bezahlen. Persönlich sagt mir Technik überhaupt nichts. Wo studiert er Technik?

D: Er studiert noch nicht, aber in Braunschweig soll es die beste Universität geben.

B: Was Sie nicht sagen! Braunschweig, warum Braunschweig? Ist Hamburg nicht besser oder Berlin? Oder Leipzig? Aber das sind ja Ossis.

D: Von denen drüben weiss ich nichts.

B: Denen geht es doch nicht gut. Früher hatten die Arbeit, aber jetzt kommen die mit dem Kapitalismus nicht zurecht. Ich weiss ja auch nur, was in den Zeitungen steht. Aber gewisse Dinge sind heute unbestritten. Wir waren ja nicht wirklich neutral im 2. Weltkrieg.

D: Es ist eine Sache der Aufbereitung.

B: Die höheren Kreise gehen ja nicht auf die Strasse und machen alles publik.

D: Die Stahlbarone waren auch für den Krieg. Das ist heute historisch erwiesen.

B: Natürlich waren die dafür. Wo sagten Sie? An der Vogelsangerstrasse?

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Law and order.

Vor vielen Jahren bin ich morgens um 2 Uhr aus einer Disco gekommen, es steht zu vermuten, dass ich einen Kleinen im Tee gehabt habe, weshalb ich mit dem Pissen auf dem Marktplatz nicht mehr abwarten konnte/wollte. Ich verrichtete das so diskret wie möglich, allerdings vor einem Geschäft. Der Drang war einfach grösser als mein Interesse an der Schonung eines Mitglieds der Vereinigung pro Innerstadt. Da kam ein Streifenwagen. Einer der Polizisten hielt sich im Hintergrund, der andere bedrängte mich zusätzlich mit der Frage, was ich hier mache. Ich sagte: Das sehen Sie ja. Er forderte mich auf, sofort damit aufzuhören. Auf meine höfliche Entgegnung, er wisse doch aus eigener Erfahrung, dass Pissen eines der Dinge sei, das mit Spanisch-Nüssli-Essen gemeinsam habe, dass man damit nicht aufhören könne, wenn man einmal damit angefangen habe, wurde er unwirsch: Können Sie sich ausweisen? Immer noch schiffen müssend, erklärte ich ihm, dass ich zwar Harndrang, aber keinen Ausweis habe. Er könne mir aber glauben, dass ich Robert Stalder heisse, Sohn des Karl und der Margarethe, geborene Studer, heimatberechtigt in Lützelflüh, wo Jeremias Gotthelf gewirkt habe und an der Birsigstrasse 139 wohnhaft sei. (Ich neigte damals morgens um zwei noch dazu, mit überflüssigen Details zu informieren). Ich spürte deutlich Abneigung in seiner Stimme, als er sagte: Das können Sie uns alles auf dem Posten erklären. Ich bekam es mit der Angst zu tun und wollte im Bestreben, nun freundlich einzulenken, endlich mit dem Pissen aufhören, was zu bewerkstelligen wäre - aber nur unter dem Verlust des Erleichterungsgefühls. Er sagte: Noch mehr saufen, dann muss noch mehr unten raus. Das war eine Aufforderung, der ich nicht nachkommen wollte, hatte ich doch durch das Verlassen der Disco deutlich bekundet, dass es mir nicht darum ging. Wenn das jeder täte, sagte der Beamte noch. Endlich konnte ich den Reissverschluss raufziehen und sagen, es mache es ja nicht jeder, zum Beispiel ich nur etwa alle fünf Jahre. Er: Und am Morgen müssen da wieder Kunden rein. Ein Freund und Helfer in Sorge um den Umsatz des Geschäftes, das Unterhaltungselektronik verkauft? Das schmälert doch in keiner Weise die Attraktivität des durchaus kundenfreundlich gestalteten Eingangs; dachte ich. "Komm, den nehmen wir mit", regte der neben mir an. Der, der ihm Rückendeckung gab, sagte zu ihm: Den lassen wir gehen. Und zu mir: Sie gehen jetzt aber sofort nach Hause. Vor die Wahl gestellt, unfreiwillig auf den Posten oder freiwillig nach Hause zu gehen, entschloss ich mich, in der nahen Disco einen letzten harntreibenden Schlummertrunk zu nehmen. Warum ich das nach vielen Jahren hier erzählt habe? Sie sollten doch jetzt wissen, was ein Drang ist.

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Wie verhalte ich mich im Gespräch?

1. Sobald der Gesprächspartner sagt: "Ich muss jetzt eine Klammer öffnen", sollten Sie energisch und unmissverständlich darauf hinweisen, dass Sie das Gespräch ohne Umschweife - geradlinig - weitergeführt haben möchten. Sonst kommen diese ekelhaften Bekenntnisse, die mit dem Thema nichts, aber auch gar nichts zu tun haben: Während Sie mit jemandem den Fahrplan der BVB diskutieren, leiter er mit dem "Klammeröffnen" eine längere Beschreibung seiner Krampfaderoperation ein.

2. "Hast du das Buch von .... zu diesem Thema nicht gelesen? Hast du die Sendung von ... zu diesem Thema nicht gesehen?"

Darauf gibt es nur eines: Doch, selbstverständlich. Sonst kommt eine höchst unpräzise, weitschweifige, unverständliche Zusammenfassung einer Sache, die jemand so wenig verstanden hat, dass er beim Erklären ein widerlich bedeutungsvolles Gesicht machen muss.

3. "Habe ich dir die Sache mit dem Parfüm meiner Frau schon erzählt?"

Höchste Alarmstufe. Vor allem, wenn der Fragesteller gegen Ende der Frage zu kichern beginnt. Wenn Sie nicht sofort mit "Natürlich letzten Dienstag, Bruno war auch dabei" (das mit Bruno ist gut, das macht die Sache glaubhaft) kontern, hören Sie die nächsten zwanzig Minuten eine der ganz blöden Sit-com-Geschichten. Da hangelt sich einer von keiner Pointe zur nächstfehlenden. (Für die, die sich so etwas anhören: Am Schluss nie fragen, was nun eigentlich mit dem Parfüm der Frau sei.)

 4. Fragen nach Ihrem Befinden sind Fallen, merken Sie sich das!

  • a) "Hast du am Morgen auch schon dieses Ziehen im rechten Arm gehabt?"
  • b) "Hast du auch manchmal das Gefühl, deine Frau kümmere sich nicht mehr gross um dich?"
  • c) "Hast du auch Mühe mit dem neuen Muschg?"

Antworten:

Mit a) Nein, und ich verabscheue Leute, die das haben. b) Nein, und ich verachte Männer, deren Frauen sich nicht mehr um sie kümmern. c) Nein, und mir sind Leute zuwider, die mit dem neuen Muschg Mühe haben, ersparen Sie sich klebrigste Einzelheiten und angelesenen Quatsch.

5. Bezahlen Sie Ihre Getränke oder Speisen immer gleich, wenn der Kellner sie bringt. So können Sie jederzeit aufstehen, wenn einer mit "Ich halte ja nichts von Astrologie, aber", Ich bin ja kein Rassist, aber", "Ich bin ja nicht mehr aktiver Fasnächtler, aber", "ich bin ja nicht etwa Jungianer, aber" kommt. Sie entgehen so einem Schwall von geraunter Astrologie, gekotzter Rassentheorie, geprusteter Anekdoten und gelispelter Psychologie.

6. "Sie sind doch jetzt auch Grossvater?" Es folgt ein kleiner Nachhilfekurs in Grammatik. "Es ist so entzückend, diese Entwicklung zu verfolgen! Gerade hat unsere Susi "schön" adverbial gebraucht - mit 3 1/2-jährig!!". Damit die weitererzählen können, fragen sie natürlich nach den Fortschritten Ihrer Enkelin. Ich versuche in letzter Zeit, so über die Runden zu kommen: "Meine? Die ist debil".

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