Prolog
Gute Witze sind und bleiben ein Geschenk und ein Rätsel. Dennoch gibt es eine Handvoll Grundregeln und Erfahrungen aus der Praxis, die aber in keinem Buch stehen. In keinem ? Doch, ausnahmsweise hier. Aber nicht weitersagen!
Ich verrate Ihnen, was ich aus der Komiktheorie und vor allem aus Tausenden von Stunden auf der Bühne vor echtem Publikum gelernt habe. Und zwar auf die harte Tout-. Was sich kaum jemand vorstellen kann, der niemals probiert hat, eine Zuhörerschaft mit Geist und Witz zu unterhalten: Es gibt tatsächlich etwas Schlimmeres, als wenn die Leute über deinen Gag nicht lachen. Das Frustrierendste am Komikhandwerk ist: Das Publikum lacht plötzlich, und du hast keine Ahnung - warum? Sich immer wieder zu fragen, warum an einer Stelle gelacht wurde, aber gerade nicht an der Stelle, wo du es selber geplant hattest, ist vornehme Pflicht jedes Komikers, der über Auftritte bei Familienfeiern hinauskommen will.
Denn das, was einen komischen Menschen im Alltag von einem Kabarettisten unterscheidet, ist die Reproduzierbarkeit des Ganzen. Viele, die einen wunderbaren .Sim1 für Situationskomik oder spontane Wortspiele haben, sind auf einer Bühne sehr schnell verloren, weil sie nicht das Werkzeug haben, die Inspiration aus dem Moment in eine wiederholbare Form zu bringen. Die besten Komiker sind für micl1 diejenigen, die vorbereitete Passagen mit echten Improvisationen und Spontaneität mischen können. Aber auch Improvisation will gelernt sein. Eine der besten Schulen für angehende Komödianten ist daher das Impro-Theater. In jeder größeren Stadt gibt es Gruppen und Kurse. Daher schon mal der Tipp: Mitmachen!
Der nun folgende Komik-Werkzeugkasten besteht aus drei Teilen:
- Grundregeln & Ideenfindung
- Feinarbeit & Zuspitzung und
- Vortrag & Nacharbeit.
Damit das Ganze auch möglichst viel praktischen Nutzen für alle Nachwuchs-Komiker hat, habe ich einige Checklisten zusammengestellt, an denen man seine Pointen so lange testen und schleifen kann, bis aus dem Rohdiamant Witz ein geschliffenes Lach-Juwel geworden ist.
Ein Satz von Improtheater-Übervater Keith Johnston möge uns dabei leiten: »Entwickle Freude am Scheitern. Erst wenn du keine Angst mehr hast, auch mal blöd auszuschauen, hast du die Chance, gut zu werden. Wer gleich gut sein will, erreicht nur eins: Langeweile.«
In diesem Sinne: Viel Freude beim Scheitern mit dem Komik-Werkzeugkasten!
Grundregeln & Ideenfindung
Komisches muss einem nicht einfallen, es muss einen1 erstmal auffallen. Die wichtigste Ideenquelle ist das wahre Leben und meine Reiberei damit. Was mag ich, was nervt mich, was ist freiwillig und unfreiwillig komisch an mir und der Welt um mich herum, aus meinem speziellen Blickwinkel ?
Um Ideen zu bekommen für eigenes Material, Themen und erste Schritte Richtung Pointe, kann man auch eine der folgenden Grundtechniken ausprobieren:
1. Eine Liste machen: Was ich alles mag, von Lieblingstageszeit, Wochentag, Getränk, Pizza bis Politiker, Buch, Land etc. Was ist mein Kosmos, meine Erfahrungen, meine »Welt«?
2. Noch mehr als die Zuneigung charakterisiert mich Abneigung.
Eine Liste von Dingen, die mich nerven, die ich hasse, die ich nicht brauche, die die Welt nicht braucht und ein paar Ideen der Rache.
3. Worüber lache ich, wer sind meine Vorbilder und warum, was ist an mir komisch, womit bringe ich andere zum Lachen, wenn ich dabei bin, und wenn ich weg bin?
4. Instruktionen, Schilder, Gebrauchsanweisungen wörtlich nehmen. Wie die Zahnpastatube, die man sich auf den Kopf stellt, weil es so draufsteht.
5. Vernichtung durch Zustimmung ausprobieren - wie z.B. Harald Schmidt: Etwas so sehr loben, bis es ins Gegenteil kippt. Ich finde es super, dass ...
6. Frage - Gegenfrage testen. Warum? Warum nicht? Perspektive wechseln: Welchen Vorteil hat ein scheinbar nerviges, negatives Verhalten.
7. Sachverhalte »richtig«-stellen. Beispiel von Woody Allen: »Ich glaube, Mohammed meinte nicht, man solle grundsätzlich kein Schweinefleisch essen. Er wollte sagen, man sollte in bestimmten Restaurants kein Schweinefleisch essen.«
Techniken der Pointe
Eine Pointe heißt in der Comedy-Sprache »punch«, ihre Aneinanderreihung dementsprechend »punchline«. Aber vor der Pointe brauchen wir das »Set-up«, den Vorlauf, der uns zur Pointe hinführt und sie erst ermöglicht. Ein Beispiel:
»Kommt ein Mann zum Arzt mit einem Frosch auf dem Kopf. Der Arzt fragt, wo haben sie den denn her? Sagt der Frosch: Den hab ich mir eingetreten.«
Kurz, pointiert, persönlich
Ein schlechter Witz, aber kurz. Und damit verzeihlich. Denn: In der Kürz liegt die Würz. Pointe heißt Spitze. Zu viele Worte machen die Spitze stumpf. Zu wenige aber auch. Niemals zu viel erzählen! Denn auch hier gilt die alte Schauspielerregel: Was gestrichen ist, kann nicht durchfallen. Ob der Mann mit dem Frosch eine blaue oder rote Jacke trägt, ist für den Witz unerheblich. Trotzdem muss im Hörer ein klares Bild vor dem inneren Auge entstehen und der Aufbau des Witzes eine Erwartung erzeugen, die in der Pointe explodiert. Wo keine Erwartung ist, kann ich auch keine brechen.
Außerdem ist es immer spannender, in der Gegenwart zu erzählen statt in der Vergangenheit, und wenn möglich, von sich selbst zu erzählen an Stelle von irgendjemandem, dem irgendetwas angeblich passiert ist.
Das Wichtigste zum Schluss
Das entscheidende Wort bei dem Frosch-Witz, was das absurde Bild beim Zuschauer erst entstehen lässt, lautet »eingetreten«, und es steht bewusst ganz am Schluss. Warum das wichtig ist, kann man von schlecht erzählten Witzen lernen. Wenn wir den obigen schlechten Witz noch schlechter erzählen wollen, geht das ungefähr so:
»Also, mal gucken, ob ich den noch zusammenkriege. Also, als wir den neulich gehört haben, wir haben uns scheckig gelacht. Oder kennt ihr den schon mit dem Frosch und dem Arzt, wo sich der Mann, nee, der Frosch den Mann ... Kennt ihr nicht? Na gut.« Und so weiter, bis hin zu: »Den habe ich mir eingetreten, sagt der Frosch.«
Falsch, ganz falsch! Das Wichtigste kommt zum Schluss! Komik ist das Gegenteil eines Nachrichtentextes. Komik hat auch viel mit Sparsamkeit zu tun. Je weniger Worte gebraucht werden, um die Situation klarzumachen, desto schwächer darf der Witz sein, der folgt. Wir alle nehmen es Witze-Erzählern übel, wenn sie lang und breit die Vorgeschichte ausschmücken und mit einem müden Gag enden. Das Gleiche gilt für jede Form der »Aufmerksamkeit auf Kredit«. Je länger der Aufbau und die Hinführung zu einem Kunststück, desto stärker muss der Effekt sein, die Überraschung am Ende. Wir haben mit dem Publikum eine ungeschriebene Vereinbarung: »Ich, der Zuschauer, investiere meine Zeit und Aufmerksamkeit - du, Vortragender, belohnst mich mit etwas, was diese Investition lohnt.«
Deshalb fühlen wir uns bei schlechten Witzen auch regelrecht betrogen um unsere kostbare Zeit. Genau so wie bei einem schlechten Film oder Krimi, wem das Ende die Stunden des Zuschauens oder Lesens nicht rechtfertigt.
The role of three
Eine Linie wird durch zwei Punkte beschrieben. Die Erwartung ist: Ein dritter Punkt wird auf der gedachten Linie liegen. Aber die klassische Pointe liegt im Dreischritt gerade nicht dort, sondern woanders. Ein Beispiel:
»Ein Mann geht frühmorgens im Nebel auf Eis, um zu angeln. Er will sich gerade ein Loch hacken, da hört er eine tiefe Stimme von oben: >Hier gibt es keine Fische!< Er wundert sich, denkt, er habe
das nur geträumt, und hackt weiter. Wieder kommt die Stimme: >Hier gibt es keine Fische!< Diesmal ist er sich sicher, das war keine Einbildung! Und ganz zaghaft wendet er seinen Kopf gen Himmel und fragt: »Herr, bist du es?< >Nein<, antwortet die Stimme, >ich bin der Sprecher des Eisstadions!<«
Das wäre beim zweiten Mal nicht so lustig wie beim dritten. Und beim sechsten Mal würde es sicher nicht noch besser. Daher mein Plädoyer für die Dreier-Regel, die sich in vielen Witzen findet, zum Beispiel auch als beliebtes Schema für Klischees und Nationalitäten-Witze:
»Ein Franzose, ein Italiener und ein Pole wollen die Wüste durchqueren, jeder soll etwas Nützliches dazu mitbringen. Der Franzose bringt Brot: »Wenn wir hungrig werden, können wir was essen.< Der Italiener bringt Wein: »Wenn wir durstig werden, können wir was trinken.< Der Pole schleppt eine Autotür an. Die beiden anderen: >Was sollen wir denn mit einer Autotür?< Darauf der Pole: »Wenn es heiß wird, können wir das Fenster runtermachen!«
Jetzt müsste nach der Regel eigentlich noch ein dritter Witz kommen - kommt aber nicht. Statt dessen eine kleine Übung: Machen wir aus dem »Polen-Witz« eine Adaption! Welche Personen könnten wir einsetzen, um aus den abgedroschenen Nationalklischees eine aktuelle Pointe zu machen? Könnten es drei Parteichefs sein, denen wir das in den Mund legen? Oder drei Abteilungen eines Unternehmens? Könnten es drei Kollegen sein etc.?
Originalität vs. »Kenn' ich schon«
Das komische Material soll originell sein. Abseitige Charaktere und Konstellation erhöhen die komische Spannung in einem Witz beträchtlich - und damit auch die Kraft der Pointe, in der sich die Spannung entlädt. Andererseits ist allzu große Angst, dass jemand eine Pointe schon einmal gehört haben könnte, fehl am Platze. Der Einwurf: »den kenn' ich«, zeugt von einem sehr schlichten Komikverständnis. Vielmehr geht es um die Art, wie und warum etwas erzählt wird, mit welchem aktuellen Bezug, mit welchem Erkenntnisgewinn. Es geht ja auch niemand in die Philharmonie und ruft, wenn Beethovens Neunte erklingt, laut in den Saal hinein: »Kenn' ich schon!«.
Feinarbeit & Zuspitzung
Wenn ein Witz krepiert, nicht gleich aufgeben! Häufig haben wir einfache Grundregeln nicht beachtet und unwissentlich verletzt. Wenn wir mit dem Notfallkoffer anrücken müssen, um einen sterbenden Witz zu reanimieren, sollten wir erstmal eine ordentliche Anamnese durchführen. Dazu befragen wir den Witz nach seinen drei lebenswichtigen Organen:
Mechanik
1. War ich gut zu hören und zu verstehen?
2. War der Aufbau zu lang für die Stärke der Pointe?
3. War die Pointe schon vor dem letzten Satz zu erahnen?
4. Habe ich die Feinarbeit gemacht: alles Überflüssige gestrichen?
5. War die Pointe überraschend und mit einem Atemzug erreicht?
Inhalt
1. Habe ich ein Klischee oder Stereotyp vorausgesetzt, was nicht geteilt wird?
2. Habe ich etwas vorausgesetzt, was unbekannt sein könnte?
3. Habe ich einen persönlichen Bezug zum Thema?
4. Hat der Empfänger einen Bezug zum Thema?
5. Lässt sich der Witz auf die Situation personalisieren, aktualisieren, anpassen?
Emotion
1. Bin ich von der Pointe selber überzeugt? War mir der Witz peinlich? Habe ich daher schon vor der Pointe die mentale Handbremse angezogen?
2. Könnte sich jemand persönlich angegriffen fühlen?
3. Ist der Aufbau bis zur Pointe glaubhaft?
4. Kommt in dem Witz eine Grundhaltung hervor, die nicht zu mir passt, wie Aggression, Sexismus, Schadenfreude?
5. Teilt der Witz das Publikum in zwei Lager? Ungleich große womöglich?
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Teufel unter der Gürtellinie
Mit dem letzten Punkt »Emotion« sind wir bei den Versuchungen, Gefahren und Fallgruben angekommen. Oft genug geraten wir im Leben und in der Komik in Versuchung durch den Teufel unter der Gürtellinie: »I can resist everything except temptation«, hat Oscar Wilde einmal gestanden - einer bestimmten Versuchung sollten Komiker auf der Bühne aber nie nachgeben, weil die Folgen bildlich zum Himmel stinken. Einmal »Scheiße« gesagt, und selbst wenn die Erwähnung Sinn machte, bleibt das Wort hängen und kleben. Mein verehrter Lyrik-Lehrer Christoph Stählin hält sich deshalb klugerweise an die Maxime: »Erwähnung schlägt Sinn der Erwähnung... Ein Witz aus dem Fäkalbereich kann einen Lacher bringen, aber danach wird man den Geruch nicht mehr los. Besser auf den Lacher verzichten und »sauber« bleiben. Nicht nur sauber, sondern rein!
Auch einer ganz anderen Versuchung gilt es zu widerstehen: Streiche die Dinge, an denen du besonders hängst, dem1 sie sind oft nicht so gut, wie du denkst. Eine Pointe, auf die man besonders stolz ist, scheitert meistens. Deshalb gilt beim Kabarett: »Kill your darlings!«
Vortrag & Nacharbeit
Profis geben sich an dieser Stelle noch längst nicht zufrieden. Michael Mittermeier hat z.B. jahrelang jeden seiner Auftritte aufgenommen und sich am selben Abend auf dem Weg ins Hotel angehört. Deshalb ist er auch auf der Bühne so unglaublich gut geworden.
Inspiration & Transpiration
Die bekannte Formel, wonach Komik aus einem Prozent Inspiration und 99 Prozent Transpiration besteht, gilt für alle Ewigkeit. Ohne Fleiß funktioniert auch so etwas vermeintlich Leichtes wie Komik nicht. Wer sich wirklich verbessern will, hat heute so gute Chancen wie noch nie: Ein Diktiergerät oder eine Video-Kamera sind erschwinglicl1 geworden und gehören zur Grundausstattung. In der Übungsphase sollte jeder Auftritt aufgenommen werden, denn sehr oft entsteht vor Publikum etwas Spontanes, was sich später nie mehr rekonstruieren lässt, es sei denn, man hat eine Aufnahme gemacht. Wer besser werden will, schreibt die Texte, die spontan vor den Zuschauern entstanden sind, Wort für Wort auf, achtet genau auf die Stellen, an denen gelacht wurde, geklatscht und gestaunt. Und noch mehr auf die Stellen, wo hätte gelacht werden sollen.
3 x 5 Fragen zum Vortrag
Drei Mal fünf Fragen an uns und den Zuschauer helfen bei der Nacharbeit und Verbesserung weiter:
Sich zuhören
1. Passen das Thema und der Sprachstil zu mir?
2. Ist die Story motiviert?
3. Knüpfe ich an Erfahrungen von mir und dem Publikum an, erfahren sie etwas Neues?
4. Steht die Präsentation im Kontext von etwas Übergeordnetem, allgemein Gültigen, Bleibenden ?
5. Gibt es abwechselnde Gefühle, eine Dramaturgie? Von spannend über traurig bis lustig ...?
Dem Zuschauer zuhören
1. Wann sind die Zuschauer gebannt, wann abgelenkt?
2. Wann lachen die Zuschauer gemeinsam, wann einzeln?
3. Wann applaudieren die Zuschauer? Gibt es eine klare Stelle dafür, ein klares Signal? Oder stehen sie noch zu sehr unter dem Eindruck des Gesagten, so dass ihnen noch gar nicht nach Klatschen zumute ist?
4. Woran erinnern sich die Zuschauer nach meinem Vortrag? Und am nächsten Tag?
5. Und was erzählen sie ihren Freunden weiter?
Hausarbeiten
1. Trete auf, nimm deinen Auftritt auf Tonband auf und schreib ihn ab!
2. Alles was nicht wirklich nötig ist - wegstreichen!
3. Fülle deinen Vortrag mit Gags auf!
4. Lerne, bis du den Text so frei erzählen kannst, als wenn er dir gerade einfiele!
5. Gehe zurück auf 1. Gehe nicht über das große Los, ziehe nicht 2000 Euro ein, aber vertraue Dir: Das kommt!
Dialog mit dem Publikum
Kabarett, Comedy und Witzeerzählen sind immer ein Dialog mit dem Publikum, deshalb müssen wir es aktiv einbeziehen und auch seine Reaktionen achten. Die Zuschauer haben eigentlich den wichtigeren Teil zu leisten, nämlicl1 Zuhören und Verstehen. Dazu brauchen sie Zeit. Deutlich und mit Pausen zu sprechen ist Zeichen von Respekt. Wenn ich zu schnell meine Gags »abfeuere«, bleibt dem Publikum die Luft weg, weil es gar nicht mehr zum Lachen kommt. Lassen wir sie auslachen!
Die Zuschauer belohnen dich mit ihrem Lachen, aber auch sich selber. Sie klopfen sich innerlich auf die Schulter und applaudieren immer auch sich selber, dass sie clever genug waren, die Pointe zu verstehen.
Daraus folgt: Das Publikum will weder über- noch unterfordert werden. Je größer der »Eigenanteil« an der Vollendung einer Pointe, desto größer der Lacher.
Oft gelingt es sogar, bei sauberem Aufbau einer Pointe, das alles entscheidende Wort ganz wegzulassen, dabei aber den Witz wie bei einem verweigerten Reim so aufzubauen, dass ohnehin jeder selber drauf kommt. Das ist für Künstler und Publikum ein großer Genuss. Du zündest nur die Zündschnur an, die Explosion passiert in den Köpfen, bis hin zum Zwerchfell. Erschütternd.
Eine gemeinsame Erfahrung aller Zuhörer ist der Vortrag selber. Deshalb erntet man viele Lacher durch »Call-back«. Call-back meint, ein Thema, was schon früher erwähnt wurde, wird in einem überraschenden Zusammenhang wieder aufgegriffen. Taucht wieder auf, wie ein alter Bekannter, und wird freudig begrüßt, wie ein Frosch mit einer Autotür auf dem Kopf!
Diese und andere Regeln für den Vortrag und zur Kontrolle bei der Nacharbeit hat Jay Sankey zusammengefasst: 20 Tipps by Jay Sankey (aus: »Zen and the art of Stand-up Comedy«):
1. Lächle!
2. Das Publikum soll Lust auf mehr haben, wenn du aufhörst.
3. Sei flexibel !
4. Einfach ist besser als kompliziert.
5. Zeit auf der Bühne ist kostbar - verschwende sie nicht.
6. Spiel für den ganzen Raum.
7. Achte darauf, nicht 7.U schnell ZU sprechen.
8. Denk dran, sei liebenswert und verletzlich.
09. Stehe voll zu deinem Material.
1O. Abwechslung ist gut.
11. Versuch selber, auf der Bühne Spaß zu haben.
12. Sei immer professionell.
13. Fordere nichts von deinem Publikum.
14. Mach deine Zeit, nicht mehr, nicht weniger.
15. Beginne stark, ende stark.
16. Drück dich nicht nur aus, kommuniziere!
17. Nimm deine Vorträge auf.
18. Warte nicht, bis das Publikum zu dir kommt, geh zu ihm.
19. Schreibimmerweiter.
20. Vertrau dir.
Scheitern als Chance
Wirklich lernen kann man Komik nur in der Arena, beim Vorführen, im Kampf mit der F5estie namens Zuschauer. Thomas Edison hat jahrelang an der Glühbirne gebastelt, nichts hat funktioniert. Er wurde in einem Interview gefragt: »Wie haben sie das ausgehalten, so viele tausend Male zu scheitern?« Er antwortete: »Ich bin nie gescheitert. Ich habe erfolgreich Wege eliminiert, die nicht zum Ziel führten.«
So kann man es auch sehen. Wenn ein Vortrag, ein Gag, ein Effekt nicht funktioniert, denken wir an Edison. Irgendwann geht jedem ein Licht auf, man muss nur lange genug dran bleiben. Wenn ohne den Mut, auch einmal schlecht zu sein, auf die Schnauze zu fallen, sich ein wenig der Lächerlichkeit preiszugeben, und ohne den Mut, immer wieder ins kalte Wasser zu springen, das manchmal so kalt ist, dass du dir auf dem dünnen Eis auch noch eine blutige Nase holst - wird man nicht besser. Und die Zuschauer lieben die Bühnenkünstler genau für diesen Mut, dass sich da jemand vor sie hinstellt, nackt und bloß, mit nichts in der Hand. Nur mit einer Leidenschaft. Die meisten würden sich das selber nie zutrauen. Und dafür lieben sie dich. Da vorne zu stehen und die Erwartungen auszuhalten - und in glücklichen Momenten zu erfüllen und manchmal noch mehr als das - das sind jene magischen Momente, für die sich der ganze Einsatz lohnt.
Epilog
In New York fragt ein Tourist einen Einheimischen: »Wie kommt man zur Carnegie Hall?« Antwort: »Üben, üben, üben!«
Ein Witz enthält Wahrheit. Lachen ist nicht »Ablenkung«, sondern »Hinlenkung«. Mit dem Zeigefinger erreicht man mehr bei anderen Menschen, wenn man ihn nicht zum Drohen, sondern zum Kitzeln verwendet. Es gibt Lachen unter Niveau so wenig wie einen Orgasmus unter Niveau, sagte Robert Gernhardt. Und Lachen und Sex sind die beiden Urkräfte der Lebenslust beim Menschen. Richtig angewendet, führen sie nicht in die Hölle, sondern grob in Richtung »Erleuchtung«. Dabei hat Lachen gegenüber dem Sex deutliche Vorteile: Lachen kann jeder hundert Mal am Tag, gleichzeitig mit vielen anderen Menschen, bis ins hohe Alter - was will man mehr ?
Wer tiefer in die Materie einsteigen will, findet auf meiner Homepage www.hirschhausen.com meine Literaturliste zu meinem Humorseminar, Lesestoff für viele anregende Abende ... Und außerdem kann man mir dort mailen, wenn einem weitere Regeln und Ausnahmen einfallen. Ich freue mich auf Feedback, Ergänzungen und Widerlegungen! Wenn man keinen Sinn für Humor hat - welchen dann?
Auswahl meiner Lieblingsbücher und Websites zum Thema Komik und Humor
Ein längerer Beitrag über Hirn und Humor von mir in:
Manfred Spitzer/Wulf Bertram (Hrsg.), Braintertainment. Expeditionen in die Welt von Geist und Gehirn, Stuttgart 2006.
Ein Beitrag über Humor und Businesstheater von mir in:
Frank E. P. Dievernich (Hrsg.), Kommunikationsausbrüche. Vom Witz und Humor der Organisation, Konstanz 2001.
Humortraining im engeren Sinne:
John Vorhaus, Handwerk Humor, Frankfurt a.M. 2001 (Techniken für Comedy-Writing).
Thomas Holtbernd, Der Humor-Faktor, Paderborn 2002 (sehr brauchbar, Theorie und Praxis). Ders., Humorzitien, Münster 2004.
Vera. F. Birkenbihl, Humor - An Ihrem Lachen soll man Sie erkennen, Heidelberg 2003.
Humorforschung ganz ernst:
Willibald Ruch (Hrsg.), The sense of Humor, Berlin 1998,
Positive Psychologie und Ärger-Management:
Stefan Klein, Die Glücksformel. Reinbek 2001.
Martin Seligman, Der Glücks-Faktor. Warum Optimisten länger leben, Bergisch Gladbach 2005.
Matt Weinstein, Lachen ist gesund - auch für ein Unternehmen, Wien 1996.
Gute Witze und Gedichte:
Marco Aldinger, BewusstseinserHeiterung, Freiburg 1998.
Bernhard Trenkle, Das Ha-Ha-Handbuch der Psychotherapie, Heidelberg 1999,
Eike Christian Hirsch, Der Witzableiter, Hamburg 1985.
Zwei empfehlenswerte Sammlungen:
Robert Gernhardt/Klaus Cäsar Zehrer (Hrsg.), Hell und Schnell. 555 Gedichte aus 5 Jahrhunderten, Frankfurt a.M. 2004 und 2006 (Tb.).
Steffen Jacobs (Hrsg.), Die komischen Deutschen, Gewitzte Gedichte aus 400 Jahren, Frankfurt a. M. 2004.
Humor und Lebenskraft
Norman Cousins, Der Arzt in uns selbst, Reinbek 198I.
Dietmar Ohm, Lachen, lieben, länger leben, Stuttgart 1997.
H. Uber, Länder des Lachens - Reisen zu heiteren Menschen, München 2000.
Hirnforschung verständlich, neurologische Grundlagen des Humors:
Steven Pinker, Wie das Denken im Kopf entsteht, München 1998.
Internet
www.humor.ch (die Seite der Humorbewegung). |