Buchbesprechung.

 

    Von Dr. Michael Titze:
    Alfred Kirchmayr
    Rettet die Purzelbäume, Kinderwitz und Lebenskunst

    Edition VA bENE.

In seiner gewohnt souveränen Art öffnet der Autor hier das Portal zur Spiel- und Phantasiewelt eines heiteren Kindes, das die normativen Bezüge des Erwachsenenlebens flink und listig auf den Kopf stellt - wie das bei einem Purzelbaum eben so üblich ist! Kirchmayr lässt sich dabei von Erich Kästner inspirieren, der 1950 in seiner berühmten Ansprache zum Schulbeginn unter anderem erklärt hatte: «Lasst euch die Kindheit nicht austreiben! Schaut, die meisten Menschen legen ihre Kindheit ab wie einen alten Hut. Sie vergessen sie wie eine Telefonnummer, die nicht mehr gilt. Ihr Leben kommt ihnen vor wie eine Dauerwurst, die sie allmählich aufessen, und was gegessen worden ist, existiert nicht mehr ... Nur wer erwachsen wird und Kind bleibt, ist ein Mensch.» Und in der Tat bringt uns Kirchmayr einen witzigen Beleg nach dem anderen, dass Kinder tatsächlich unsere Lehrmeister sind, wenn es darum geht, das Wesen des Humors von seiner Ursprünglichkeit her zu verstehen. Dies ist aber nur möglich, wenn wir die «gefährliche Macht des Man» (12, 26f) lustvoll aus den Angeln heben und so den «tierischen Ernst» lustig überlisten. Wie das gehen soll? Kirchmayr (der gerne auch auf die Befunde der modernen Hirnforschung verweist) weiß da eine verblüffende Antwort: «Den Freudenlappen besser füttern als den Jammerlappen unseres armen Hirns» (54).

Im 2. Teil des Buches befasst sich der Autor mit dem «Wunder der Sprache» und bringt köstliche Anregungen für Sprachspiele. Dabei greift er gezielt auf den Blödelmagier Karl Valentin zurück, dessen «schöpferischer Infantilismus» - dem Grundanliegen des Buches entsprechend - jede Menge Anschauungsmaterial liefert. Denn die Sprache selbst und ihr verfremdender Gebrauch waren Karl Valentins Element. Er sezierte lustvoll Wörter und Phrasen, kostete sie aus, jonglierte mit Sinn, Doppelsinn, Unsinn und Tiefsinn, mit Klang und Anklang» (57). Valentin, der sich selbst als «gewesenes Kind» (61) bezeichnete, tat nach der überzeugenden Analyse Kirchmayrs nichts anderes, als sich konsequent der «Sprache eines Kindes im Erwachsenen» zu bedienen. Dadurch, so Kirchmayr, wird eine «regressive Spannung erzeugt, die dann abgelacht wird.»
Im Einklang mit diesem «urkomischen Strudel kindlicher Regression» (61) steht die «Sprache der Märchen» (68), die ebenfalls geprägt ist von der «Anschaulichkeit der Sprache, von ihrer Musikalität und ihren vielen Anklängen». Kirchmayr legt überzeugend dar, dass ein ausgiebiger Aufenthalt auf der «Sprachspielwiese» (79) kindlich-regressiver Sprachwelten den Zugang zur Kompetenzsphäre von Witz und Humor erheblich erleichtert. Sollte die Leserin oder der Leser bei diesem Training zu kurz gekommen sein, kann er oder sie sich in einem der «Sprachbastelbücher» (die Kirchmayr anführt) von «witzigen, heiteren und gepfefferten Wortspielgebilden zahlloser kleinerer und größerer Kinder» (82) anregen lassen. Als Ergebnis könnte dann ein solches kreatives Blödelprodukt herauskommen:

Wenn die Pferde auf den Blüten
Sitzen und dort Eier brüten,
wenn vor lauter dicken Dackeln
alle Pflastersteine wackeln,
wenn der Pfarrer, ganz erledigt,
in der Badehose predigt,
wenn an heißen Wintertagen
Purzelbäume Äpfel tragen,
wenn Frau Schmidt das Meer verschluckt,
und ins Goldfischgläschen spuckt,
wenn es einen Schneefrosch gibt,
eine Maus, die Katzen liebt,
einen Lift im Schneckenhaus -
dann erst fällt die Schule aus!» (87, 88)

Die kenntnisreiche und anschauliche Analyse des Blödelns stellt ein «Highlight» dieses ohnehin schon bemerkenswerten Buches dar. Dabei bedient sich Kirchmayr einer präzisen und doch gut nachvollziehbaren Diktion, wenn er etwa schreibt: «Beim Blödeln werden die üblichen Regeln des Verstandes, wird der Zwang zum logischen, vernünftigen Denken - vorübergehend - aufgehoben. Die Verpflichtung zum vernünftigen und ernsthaften Denken geht auf Kurzurlaub. Blödeln ist ein Tun-als-ob, ein Spiel. Blödeln [...] ist Regression in die Kinderzeit.» (89)

Im 3. Teil des Buches befasst sich Kirchmayr mit den philosophischen, physiologischen und psychologischen Facetten von Lachen und Lächeln. Wir erfahren, dass das Lachen «viel älter als der aufrechte Gang oder die Sprache ist - etwa 10 Millionen Jahre» (95). Den Ursprung des Lachens sieht Kirchmayr in den Kitzelspielen von Mutter und Baby: «Das Kitzeln haben die Mütter erfunden und dabei in ihren Kindern das Lachen entdeckt, das sich von diesem sozialen Ort aus über die ganze Gesellschaft verbreitet hat» (97). Physiologisch gesehen, ist das Lachen ein Atmungsphänomen: «Beim Lachen atmet man den Schrecken aus.» Oder (um es mit S. Ferenczi zu sagen): «Lachen ist erbrechen von Luft aus der Lunge, Weinen ist saufen von Luft» (100). Wir erfahren daneben, dass es verschiedene Arten des Lachens gibt, so das Erleichterungslachen, das schadenfrohe Auslachen, das Lachen aus Überlegenheit, das Lachen über Witze und (nicht zuletzt) das Lachen ohne Grund. Letzteres «braucht keine Auslöser wie Witze, Gags und die vielen anderen Spielarten des Komischen. Es wird künstlich hergestellt, ist wie eine gymnastische Lockerungsübung, entspannt und erheitert enorm» (107). Diese Variante des Lachens wird seit mehr als zehn Jahren weltweit in den sog. Lachclubs praktiziert, und zwar unter der Bezeichnung «Lachyoga». Kirchmayr geht auf diese populäre Methode sehr wohlwollend ein und bringt sie mit der zentralen Prämisse der Gelotologie, der Wissenschaft vom Lachen, in einen Zusammenhang: «Wir lachen, weil wir glücklich sind, aber wir können auch glücklich werden, weil wir lachen» (114).
Gerade in diesem Kapitel geht Kirchmayr besonders detailliert auf das Grundprinzip der Humorentstehung ein, das schon von den Philosophen Kant und Schopenhauer beschrieben wurde: Die Inkongruenz. Kirchmayr bezieht sich dabei auch auf den Historiker Hugo Rahner, der den Humor als «Ernstheiterkeit» (123) bezeichnet hat: «Denn echter Humor entsteht aus der Integration von Gegensätzen, die unser Leben ausmachen: Ernst und Heiterkeit, Weisheit und Torheit, Kindlichkeit und Erwachsensein, Tragik und Komik, Glück und Unglück, Lachen und Weinen, Engagement und Gelassenheit.» Doch fast im gleichen Atemzug erwähnt Kirchmayr auch, dass das Lachen in der abendländischen Geschichte der Philosophie und (besonders!) der Theologie unter dem Verdacht der Dummheit, Oberflächlichkeit und Sündhaftigkeit stand (125, 128).

Im 4. Teil des Buches, das vielleicht am schönsten zu lesen ist, behandelt Kirchmayr die Welt des Spielens, die er als Basis aller Kultur, Kreativität und Lebensfreude versteht. Unter Bezugnahme auf Befunde der modernen Hirnforschung führt uns Kirchmayr vor Augen, wie entscheidend für die Entwicklung des jungen Menschen die «spielerische und selbstbestimmte Selbst- und Welterkundung» (136) ist. Die kreative Potenzialität, die im Spielen entbunden wird, geht aber verloren, wenn das Kind «einen guten Eindruck machen soll», wenn es keine Fehler machen darf und wenn es immer wieder mit anderen verglichen wird, «die dieses oder jenes besser können» (137). Diese Hemmung kreativer Spiellust wirkt fundamental entmutigend auf das Gemüt des Kindes, das auf diese Weise in die unheilvolle Schleife überwertiger Wettbewerbsorientierung gelotst wird. Das kann Stress, Nervosität und chronische Unzufriedenheit hervorrufen: «Denn das Gegenteil von schöpferisch sein heißt schlicht: erschöpft sein und nur noch als &Mac226;Gewohnheitstier' zu funktionieren, leiblich und geistig erstarrt» (149).
Unter Bezugnahme auf Johan Huizingas berühmte Theorie des Spielens postuliert Kirchmayr, dass das Spiel «die Basis aller Kultur» (156) ist. Denn «Kultur ist Fair play - sie wird vom tierischen Ernst bedroht» (167).

Im 5. Kapitel greift Kirchmayr die Ergebnisse einer Studie mit Berliner Schulkindern auf, die von der Humorforscherin Marion Bönsch-Kauke ermittelt wurden. Kinderhumor «erweist sich demnach als wichtigstes Vitamin der Lebenskunst, als Medium der Lebensfreude, als Motor und Ausdruck von Konfliktfähigkeit und psychosozialer Kompetenz (13).

Im Schlusskapitel dominiert ein Interview mit der neunfachen Mutter Anna Wahlgren. Daraus geht hervor, dass Kinder unsere «Entwicklungshelfer» sind. Viel Lachen ist die beste und wichtigste Medizin - bei allen Krisen und Konflikten! Dadurch werden die Eltern zu mehr Selbstvertrauen ermutigt, während die Kinder Selbstvertrauen und Lebensfreude entwickeln können. Der dadurch aktivierte Prozess der Ermutigung verweist auf das Grundprinzip einer «fröhlichen Pädagogik», wie sie schon Alfred Adler im Sinn hatte. Diese - immer auch mit Humor verbundene - Pädagogik versucht dem Kind den Mut zu vermitteln, Herausforderungen in Angriff zu nehmen, Ängste und Schwierigkeiten zu überwinden (221).

Insgesamt ist Kirchmayrs kluges Buch ausgesprochen leseleicht geschrieben. Die zahllosen Witze sind immer an die richtige Stelle gesetzt, so dass sie der pointierten Veranschaulichung der entsprechenden Argumente ganz zwanglos dienen. So lässt sich alles nicht nur genießen, sondern auch bestens verdauen. Ich wünsche diesem schönen Buch eine große Verbreitung!

Michael Titze
HumorCare Deutschland